Die Wachstumsdynamik lässt nach

Haben die Leser das E-Book schon satt?

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Umsätze mit digitalen Büchern steigen weiter – allerdings nicht mehr so dynamisch. Warum? Eine Spurensuche von Sönke Schulz.

Dem E-Book ist in diesem Jahr gewaltig »die Puste ausgegangen« – jüngste Analysen von Börsenverein und GfK zeigen, wie das Wachstum des E-Book-Umsatzes sich deutlich verlang­samt. Bei genauer Betrachtung des Marktes lassen sich einige Gründe ausmachen – von den Auswirkungen des Pricings über die mehr oder wenige gute Auffindbarkeit bis zur Konkurrenz der Medien und einem veränderten Nutzungsverhalten.

Die Preise sinken. Während nach GfK-Erhebungen der Absatz mit E-Books 2010 bis 2013 von 1,9 Millionen auf 21,5 Millionen anstieg, sank der im Durchschnitt bezahlte Preis von 10,71 Euro auf 7,58 Euro. Es ist nur folgerichtig, dass der Umsatz sich weniger dynamisch entwickelt als der Absatz. Gerade Selfpublisher drücken das Preis­niveau. Künftig wird der Ertrag pro E-Book-Titel deutlich sinken, Wertschöpfung können Verlage nur über die Anzahl veröffent­lichter Titel erzielen. Selfpublishing-Autoren gibt es allerdings in großer Zahl, Verlage müssen nur die Chance ergreifen, diesen Autoren Veröffentlichungs­möglichkeiten zu bieten, um am Titelwachstum zu partizipieren.

Suchen und Finden wird schwieriger. Angesichts steigender Titelzahlen wird für Käufer die Suche nach dem gewünschten E-Book eine Herausforderung. Das Handling von Metadaten für eine bessere Auffindbarkeit von Titeln und die Erhöhung des Nutzerkomforts bei der Titelsuche sollten auf der Agenda der Verlage, Distri­butoren und E-Book-Shops ganz oben stehen.

Trägermedien lenken ab. E-Books werden vorwiegend auf Träger­medien gelesen, die vom Lesen ablenken und stattdessen zum Internetsurfen oder E-Mail-Schreiben verführen. Eine im Frühjahr dieses Jahres durch­geführte Umfrage von Bitkom hat ergeben, dass die Deutschen E-Books vorwiegend auf dem Smartphone lesen (60 Prozent) oder auf dem Laptop (57 Prozent) und nur zu 25 Prozent auf einem E-Book-­Reader. Da ist die Medienkon­kurrenz enorm.

Wie nun reagieren? Das E-Book ist kein Substitut für das gedruckte Buch – eher eine Ergänzung. Eine Anfang des Jahres von Princeton Survey Research in den USA durchgeführte Studie beziffert die Anzahl der E-Book-only-Nutzer auf lediglich vier Prozent. Es ist also ökonomisch sinnvoll, ein Buch sowohl in gedruckter Form als auch als E-Book anzubieten – oder Hybridprodukte, die Print­ausgaben mit digitalen Features vereinen.

Ohnehin muss man das E-Book als Übergangsmedium verstehen. Das E-Book in seiner derzeit angebotenen Form ist meist eine 1:1-Umsetzung des gedruckten Buchs. Der einzige Mehrwert, den es gegenüber dem gedruckten Buch bietet, ist sein niedrigerer Verkaufspreis. Dennoch ist das jetzige, an den Printausgaben orientierte Preismodell gegenüber den Lesern nicht erklärbar. Ein Gegenbeispiel aus der Musikindustrie: Nahezu jeder MP3-Song kostet 99 Cent, ganz unabhängig von seiner Länge. Wer eine CD erwirbt, erhält oft die MP3-Version als kostenlosen Download dazu.

Nicht nur auf preislicher Ebene, sondern auch konzeptionell gilt es, den Leseransprüchen zu genügen. Das gedruckte Buch unterliegt dem Diktat von Textlänge und Seitenformat, für das E-Book gelten diese physischen Formatbeschränkungen nicht. Über digitale Kanäle können Inhalte jederzeit verfügbar und aktuell gehalten sowie multimedial bespielt werden. Die damit verbundenen Mehrwerte und Wachstums­chancen nutzen Verlage bisher kaum aus. In Zukunft wird der Begriff Buch nicht mehr dem entsprechen, was mit Inhalten möglich sein wird. Dies zu begreifen, ist die Grundlage für jede Weiterentwicklung unserer Branche.