Es ist eine komplett irrationale Leidenschaft, die der dickliche Friedrich Wilhelm für seine „Langen Kerls“ hegt, Unsummen gibt er für sie aus, Geld spielt keine Rolle, immer mehr wird diese Vorzeige-Armee zum Fetisch. Rasch gilt die Sympathie des Lesers dem königlichen Secretär, der sich mehr und mehr gegen Friedrich Wilhelm auflehnt, der die Intrigen am Hofe durchschaut und zusehen muss, wie die Höflinge den König ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, weil der inmitten der von ihm Gedemütigten – nicht zuletzt sich selbst – immer wieder beweisen will, dass er der unumschränkte Herrscher ist. Das, was die anderen um ihn herum wollen, die Bürger, die Leibgardisten, all das interessiert Friedrich Wilhelm herzlich wenig.
Dabei gibt es jede Menge Wünsche, Sehnsüchte, Ideen in diesem Roman, die Meyer geschickt gegen die tumbe royale Figur kontrastiert. Nicht nur Gerlach verliebt sich in die ebenfalls hochgewachsene holländische Bäckerstochter Bethje, nicht nur seine Freunde Porcivi und der Norweger Henrikson planen die Flucht, auch die fiesen Romanfiguren – und von denen gibt es mehr als genug - erleben Glücksgefühle und gnadenlose Abstürze. Sprachlich nimmt Meyer Anleihen am Vokabular der damaligen Zeit, so dass der Roman einerseits stellenweise die Anmutung eines Zeitzeugenberichts hat, andererseits sich davon ironisch distanziert: „Fanget Ihr itzo wieder mit Eurem albernen Gemüse an?“
Dramaturgisch in kleinen Szenen durchkomponiert, malt Meyer mit vielen Momentaufnahmen ein Panorama des frühen 18. Jahrhunderts, das sich in der Aufschlüsselung, wie die Systeme der Macht funktionieren, auf unsere Zeit übertragen lässt. Und damit ist der historische Roman erschreckend modern.
Thomas Meyer: „Rechnung über meine Dukaten“. Salis, 21o S.,22,95 Euro