Neu im Regal - Lesetipp der Woche

Nur noch Riesen im Kopf

3. März 2015
von Stefan Hauck
Wie ist das, wenn ein König großgewachsene Männer entführen lässt, um sie zu seinen Leibgardisten zu machen? Thomas Meyer entführt in seinem neuen Roman in vielen psychologischen Momentaufnahmen ins frühe 18. Jahrhundert und zeigt die Mechanismen der Macht.
Sachsen 1716: Der Bauernjunge Gerlach wird im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. entführt- denn Gerlach ist ungewöhnlich groß gewachsen und soll in die Königliche Leibgarde eintreten. Die besteht aus unzähligen „Riesen“, von denen nicht einer freiwillig dient: Geraubt, durch Alkohol gefügig  gemacht, mit Geld und falschen Versprechungen gelockt sind sie über die Landesgrenzen nach Preußen gebracht worden, ins Königsgrenadierregiment, was lebenslangen Dienst bedeutet. Sinnloses Exerzieren, Gleichschritte, die eher einem Ballett gleichen, Drill und bei Fahnenflucht Exekution, das sind die Aussichten, die Gerlach erwarten. Meyer beschreibt mit feiner Ironie die Herrscherwillkür in all ihren Facetten, wie Friedrich Wilhelm seinen Launen nachgibt, wie er den Hofgelehrten Jacob Paul von Gundling schikaniert, demütigt, wie der Widerwillen des Secretärs Creutz gegen den König täglich zunimmt, während die Hofgesellschaft ihre Geschäfte macht.

Es ist eine komplett irrationale Leidenschaft, die der dickliche Friedrich Wilhelm für seine „Langen Kerls“ hegt, Unsummen gibt er für sie aus, Geld spielt keine Rolle, immer mehr wird diese Vorzeige-Armee zum Fetisch. Rasch gilt die Sympathie des Lesers dem königlichen Secretär, der sich mehr und mehr gegen Friedrich Wilhelm auflehnt, der die Intrigen am Hofe durchschaut und zusehen muss, wie die Höflinge den König ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, weil der inmitten der von ihm Gedemütigten – nicht zuletzt sich selbst – immer wieder beweisen will, dass er der unumschränkte Herrscher ist. Das, was die anderen um ihn herum wollen, die Bürger, die Leibgardisten, all das interessiert Friedrich Wilhelm herzlich wenig.

Dabei gibt es jede Menge Wünsche, Sehnsüchte, Ideen in diesem Roman, die Meyer geschickt gegen die tumbe royale Figur kontrastiert. Nicht nur Gerlach verliebt sich in die ebenfalls hochgewachsene holländische Bäckerstochter Bethje, nicht nur seine Freunde Porcivi und der Norweger Henrikson planen die Flucht, auch die fiesen Romanfiguren – und von denen gibt es mehr als genug - erleben Glücksgefühle und gnadenlose Abstürze. Sprachlich nimmt Meyer Anleihen am Vokabular der damaligen Zeit, so dass der Roman einerseits  stellenweise die Anmutung eines Zeitzeugenberichts hat, andererseits sich davon ironisch distanziert: „Fanget Ihr itzo wieder mit Eurem albernen Gemüse an?“

Dramaturgisch in kleinen Szenen durchkomponiert, malt Meyer  mit vielen Momentaufnahmen ein Panorama des frühen 18. Jahrhunderts, das sich in der Aufschlüsselung, wie die Systeme der Macht funktionieren, auf unsere Zeit übertragen lässt. Und damit ist der historische Roman erschreckend modern.

Thomas Meyer: „Rechnung über meine Dukaten“. Salis, 21o S.,22,95 Euro