Wenn es schimmert

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Für Verleger Jochen Jung hängen die Chancen des Buchhandels vor allem an Texten − und am Geschick des Vermittelns zwischen Autor und Leser: Eine gute Buchhändlerin müsse Bücher erzählen können.

Das kennen Sie doch auch: Sie betreten ein Zimmer bei Bekannten oder Freunden oder wem auch immer, und Ihr Blick geht wie magisch angezogen sofort auf den kleinen Tisch neben der Lampe. Und natürlich ist es nicht der Tisch selber, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern es ist das Buch, das da liegt, ein offenbar halb gelesenes (man sieht das kleine dunkle Stoffzipfelchen des Lesebands in  der Mitte des Buches heraushängen). Der Umschlag ist ein wenig eingerissen, es ist also wiederholt in die Hand genommen worden, und so, wie es da liegt, scheint es darauf zu warten, dass das wieder geschieht. Ja, ich finde, man kann es Büchern ansehen, dass sie ­gelesen werden wollen.

Wenn sonst im Zimmer nichts ablenkt, dann kann man auch den Schimmer wahrnehmen, der das Buch – wie jedes, das geschätzt wird – umgibt. E-Reader haben den nicht, aber – um das gleich zu sagen – ich habe gar nichts gegen E-Reader oder E-Books, nur: den Schimmer, den haben sie eben nicht. (Es ist so eine Art Morgenröte, die Aura der Aurora – pardon, wenn ich hier leicht durch­drehe, für Liebeserklärungen gehört sich das!)

Spätestens jetzt will man natürlich wissen, welches Buch es ist, und man kommt ihm vorsichtig näher. Wieder stellt man fest, was für schöne Autorennamen es gibt: Achim von Arnim, Patricia Highsmith, Saskia Hennig von Lange. Aber durchaus auch: Herta Müller. Und was für Titel: Trauer- und Trostgedanken. Der Schatz im Silbersee. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Der Distelfink. Aber schön ist jeder Name und jeder Titel von Büchern, die man liebt. Denn das ist ja das Wunderbare an der Liebe: Sie ist ungerecht, sucht sich aus, was sie will, und in ihren Augen beginnt alles zu schimmern, auf dem ihr liebender Blick ruht.

Bücher sind oft Erbstücke und bei bestimmter Beleuchtung sehen sie auch so aus: immer wieder in die Hand genommen, also gebraucht, wenn nicht gar benötigt. Dabei müssen Bücher durchaus nicht im herkömmlichen Sinn schön sein (im Hinblick auf Papier, Farbe, Druck, außer es sind bestimmte Kinderbücher): Bücher beziehen ihr Geheimnis, ihre Anziehung, ihre Anstiftung zur Begeisterung ausschließlich vom Text; höchstens noch von dem Lebensaugenblick, in dem man sie zum ersten Mal gelesen hat. Oft erzählen sie eine Geschichte und haben selbst eine, und wenn sie neu sind, gibt es nichts Dringenderes, als sie in andere Hände und unter offene Augen zu bringen.

Das kann man selber machen, am besten aber machen es die Buchhostessen oder Büchergärtnerinnen (denn Bücher sind zunächst auch Kinder, die betreut werden wollen), sie verstehen es, die Richtigen zusammenzubringen. Sie erkennen die Bedürftigen auf beiden Seiten. Und sie geniert es auch nicht, dass gute Dinge etwas kosten – weil sie etwas wert sind, und zwar, wie man heute so sagt, nachhaltig wie weniges.

Ich glaube ja, dass die Überlebenschancen des Buchhandels an den Texten hängen (und nicht an ihrer Verpackung), also daran, dass überhaupt noch Literatur gelesen wird, die etwas von einem will; und das muss man vermitteln. Die Buchhändlerin muss Bücher erzählen können, und wie wir wissen, können das manche sehr gut. Man sieht es an dem Schimmer, der sie umgibt.