Vom Stiften unwahrscheinlichen Leseglücks

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Buchhändler verfügen über einen inneren Algorithmus. Ein Loblied auf die treffsichere Lektüreempfehlung - von Buchhändler Ansgar Weber.

Kürzlich erzählte mir eine Kundin folgende Geschichte: Sie habe einer sehr guten Freundin das Buch von Daniela Krien »Irgendwann werden wir uns alles erzählen« geschenkt. Nach der Lektüre sei die Freundin in eine Buchhandlung gegangen und habe ein Buch verlangt, so oder so gut wie das eben gelesene. Empfohlen habe ihr die Buchhändlerin Bodo Kirchhoffs Roman »Die Liebe in groben Zügen«. Ihre Freundin habe sodann dieses Buch gelesen, in der Tat mit einer ebenbürtigen Begeisterung - weshalb sie es wiederum ihr, unserer Kundin, wärmstens ans Herz legte. Auch sie habe es daraufhin gelesen und sei ebenfalls sehr angetan gewesen. Obwohl, gab sie zu bedenken, die beiden Bücher sich ja eigentlich gar nicht sehr ähnlich seien. Eine Einschätzung, die sich beim Blick auf die beiden Autoren und auf den Stoff der zwei Geschichten zu bestätigen scheint.
Eine vielleicht nicht weltneue und auch nicht weltumstoßende, aber, wie ich nichtsdestotrotz finde, sehr schöne und interessante Geschichte. Sie ließ mich erneut über unseren Beruf, den des Buchhändlers und über diese Buchhändlerin nachdenken. Möglich ist, dachte ich, dass die genaue Lektüre sie befähigt hatte, eine nicht gerade offensichtliche Verbindung zwischen den Romanen zu erkennen. Möglich auch, dass sie speziell bei dieser einen Kundin ahnte, welches Buch für sie zu welchem anderen passte. Wobei ihre Ahnung dann auch in einem anderen, ihr zuvor gar nicht bekannten Leserinnenkopf zusammenführte, was dort zusammengehört. Und natürlich kann es auch sein, dass diese Buchhändlerin auf Nachfrage als Basis ihrer Empfehlung schlicht und einfach ihre Intuition nennen würde oder das, was ihr eine nicht nur buchhändlerische Erfahrung spontan eingeflüstert habe.

Wie dem auch immer genau sein mag, wie hoch man dabei selbst den Anteil des Glücks oder gar des Zufalls auch veranschlagen möchte, diese Buchhändlerin hat eine bemerkenswerte Leistung vollbracht. Sie hat mit Händchen oder Köpfchen oder Riecher zwei individuelle Leserinnen äußerst präzise zu zwei ihnen sehr gemäßen Büchern geführt. Hat eine Verbindung gesehen, wo wenige sonst - auch und erst recht kein Daten sammelnder und davon Wahrscheinlichkeiten ableitender Algorithmus-Rechner - eine gesehen hätten! Sie hat unwahrscheinliches und auch noch doppeltes Leseglück gestiftet. Ich meine: Diese Buchhändlerin - und mit ihr die sicherlich nicht wenigen, die Ähnliches vermögen - verdient für ihr Tun in Vergangenheit und Zukunft ein nachhaltiges Hoch!

Manchmal verläuft die Kette allerdings auch andersherum. Eine entfernt wohnende Freundin las auf meine Empfehlung hin »Stoner« von John Williams. Das Buch lieh sie nun einer ihr bekannten Buchhändlerin, gewissermaßen als »Gegenleistung« für den prächtigen Buchtipp, den diese ihr mit Yoko Ogawas »Das Geheimnis der Eulerschen Formel« gegeben hatte. Sie dachte, das könnte ihr ebenfalls gefallen. Und so war es, die Buchhändlerin stellte es prompt im Literaturclub der Schule vor und reichte es ihrerseits an zwei Freundinnen weiter. So gehört zum Hoch auf die autonom kombinierenden Buchhändlerinnen auch das Hoch auf die autonomen Kunden und Leserinnen, die durch die Literatur nicht nur selbst miteinander verknüpft werden, sondern auch eifrig selbst verknüpfen.