Neun Erzählstimmen aus vier Generationen, ein historisches Panorama zwischen der heutigen Ukraine, Schlesien und Deutschland; Flucht, Vertreibung, Krieg, Traumatisierung. Wie das alles zusammengehen mag? Und dann noch zwei Affen, Bonobos, die von großer Bedeutung sind. Was es mit denen auf sich hat? Auch das wurde erklärt.
Mehr als 200 Zuhörer waren auf Einladung der Deutsche Bank-Stiftung und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in den großen Konferenzsaal in den Zwillingstürmen der Deutschen Bank zu einer Blind Date-Lesung gekommen: Angekündigt war ein Kandidat für den Deutschen Buchpreis; um wen es sich handelte, erfuhr das Publikum allerdings erst kurz vor Beginn der Veranstaltung.
Ulrike Draesner, promovierte Literaturwissenschaftlerin, Essayistin, Lyrikerin und Romanautorin war es, die ihren für die Longlist nominierten, im Luchterhand Verlag erschienenen Roman "Sieben Sprünge vom Rand der Welt" vorstellte. Durch ihre Lesung aus dem Roman lernte man zwei der Hauptfiguren kennen: Eustachius Grolmann, 83 Jahre alt, im Nationalsozialismus aufgewachsen und 1945 aus Schlesien in den Westen geflohen. In Bayern findet Eustachius eine Frau und ein Haus, aber keine echte Heimat. Und seine Tochter Simone, die, wie Draesner erklärte, den Ballast der Elterngeneration mitzutragen hat.
Sie habe, das ist der Autorin wichtig, keinen Roman über die Vergangenheit, sondern über die Gegenwart geschrieben; darüber, was Vertreibung, Entwurzelung und Zwangsmigration in einer Familie anrichteten. Besonders beeindruckend jene Passage, in der eine vom Stalin-Regime zwangsweise von Lemberg nach Breslau umgesiedelte Familie eine fremde Wohnung in Besitz nimmt, in der kurz zuvor noch eine deutsche Familie gelebt hat: das Besteck, die Bettwäsche − Zeugnisse eines fremden Lebens, das nun zum eigenen werden muss. Sie habe, so erzählt Ulrike Draesner, sehr intensive Recherchen für ihren Roman betrieben, was nicht zuletzt durch ein Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung möglich geworden sei. In der Figur des Eustachius Grolman ließe sich ohne große Mühe ihr eigener Vater wieder erkennen − nur dass dieser sich bei ihr über den seltsamen Namen beschwert habe, den er im Roman erhalten hat.