Blind Date-Lesung zum Deutschen Buchpreis

Überraschung in der Bank

3. März 2015
von Christoph Schröder
Die Veranstaltungsreihe rund um den Deutschen Buchpreis bot am Montag Abend einen besonderen Termin: Zu einer Blind Date-Lesung wurde in die Zwillingstürme der Deutschen Bank eingeladen − die Deutsche Bank-Stiftung engagiert sich als Förderer des Deutschen Buchpreises. Das Geheimnis um den vorlesenden Überraschungsgast wurde erst zu Beginn der Veranstaltung gelüftet − Autorin Ulrike Draesner wurde mit einem erfreuten Applaus begrüßt. 

Neun Erzählstimmen aus vier Generationen, ein historisches Panorama zwischen der heutigen Ukraine, Schlesien und Deutschland; Flucht, Vertreibung, Krieg, Traumatisierung. Wie das alles zusammengehen mag? Und dann noch zwei Affen, Bonobos, die von großer Bedeutung sind. Was es mit denen auf sich hat? Auch das wurde erklärt.

Mehr als 200 Zuhörer waren auf Einladung der Deutsche Bank-Stiftung und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in den großen Konferenzsaal in den Zwillingstürmen der Deutschen Bank zu einer Blind Date-Lesung gekommen: Angekündigt war ein Kandidat für den Deutschen Buchpreis; um wen es sich handelte, erfuhr das Publikum allerdings erst kurz vor Beginn der Veranstaltung.

Ulrike Draesner, promovierte Literaturwissenschaftlerin, Essayistin, Lyrikerin und Romanautorin war es, die ihren für die Longlist nominierten, im Luchterhand Verlag erschienenen Roman "Sieben Sprünge vom Rand der Welt" vorstellte. Durch ihre Lesung aus dem Roman lernte man zwei der Hauptfiguren kennen: Eustachius Grolmann, 83 Jahre alt, im Nationalsozialismus aufgewachsen und 1945 aus Schlesien in den Westen geflohen. In Bayern findet Eustachius eine Frau und ein Haus, aber keine echte Heimat. Und seine Tochter Simone, die, wie Draesner erklärte, den Ballast der Elterngeneration mitzutragen hat.

Sie habe, das ist der Autorin wichtig, keinen Roman über die Vergangenheit, sondern über die Gegenwart geschrieben; darüber, was Vertreibung, Entwurzelung und Zwangsmigration in einer Familie anrichteten. Besonders beeindruckend jene Passage, in der eine vom Stalin-Regime zwangsweise von Lemberg nach Breslau umgesiedelte Familie eine fremde Wohnung in Besitz nimmt, in der kurz zuvor noch eine deutsche Familie gelebt hat: das Besteck, die Bettwäsche − Zeugnisse eines fremden Lebens, das nun zum eigenen werden muss. Sie habe, so erzählt Ulrike Draesner, sehr intensive Recherchen für ihren Roman betrieben, was nicht zuletzt durch ein Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung möglich geworden sei. In der Figur des Eustachius Grolman ließe sich ohne große Mühe ihr eigener Vater wieder erkennen − nur dass dieser sich bei ihr über den seltsamen Namen beschwert habe, den er im Roman erhalten hat.

 

Eustachius, ist im Übrigen, wie seine Tochter auch, Wissenschaftler − Primatenforscher, um genau zu sein. Die Bonobos also wieder: "Die Affen sind da, weil Eustachius Angst vor Menschen hat", sagt Draesner. Das sei die kurze Erklärung. Und etwas ausführlicher: Die Affen bewegten sich an einer Sprachgrenze, wie auch die traumatisierten Menschen im Roman. Es geht also um die Überwindung des Schweigens, um ein Ende der Sprechblockaden. Für so etwas gibt es den Roman. Und weiter geht es im Internet: Auf der Homepage www.der-siebte-sprung.de hat Ulrike Draesner Rechercheergebnisse aus deutschen und polnischen Quellen eingestellt, die nicht oder nur indirekt in den Roman eingeflossen sind − tatsächlich also ein Buch aus der Gegenwart.
Die Termine der weiteren Blind Date-Lesungen sind auf der Website des Deutschen Buchpreises zu finden. Am 10. September wird die Shortlist der nominierten Buchtitel bekanntgegeben, am 6. Oktober der Preisträger. Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Börsenverein des Deutschen Buchhandels Stiftung jährlich zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Oktober den besten Roman in deutscher Sprache aus.