Neu im Regal - Lesetipp der Woche

Eine verzwickte Geschichte von Liebenden

3. März 2015
von Stefan Hauck
In den heißen Sommertagen kommen die Bücher gerade recht, die den Leser in südliche Gefilde entführen: In "Der Apfelsammler" lässt Anja Jonuleit ihre Protagonistin Hannah ins umbrische Bauernhaus ihrer verstorbenen Tante fahren und verknüpft geschickt unterschiedliche Lebensläufe miteinander − ein überraschender Urlaubsroman.

Die Ausgangssituation klingt Viellesern zunächst vertraut: Eine deutsche Journalistin und Fotografin, gerade frisch getrennt von ihrem Geliebten, erfährt vom Tod ihrer geliebten Tante, die sich in ein altes Bauernhaus in Umbrien zurückgezogen hat. Statt eines in Dutzenden von Romanen häufig anzutreffenden heißblütigen Lovers als Tröster bringt Autorin Anja Jonuleit eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere ins Spiel, die Seite für Seite eine verzwickte Familiengeschichte enthüllen. Tante Eli, als Bauerstochter in einem süddeutschen Dorf aufgewachsen, mit jähzornig-versoffenem Vater und kreuzkatholischer Mutter, darf aufgrund ihrer Klugheit und durch gewichtiges Dreinreden des Pfarrers auf die Realschule. Ihr gesamtes Leben zieht sich als ein Handlungstrang durch den Roman, permanent durchbrochen von den Erfahrungen ihrer Journalistennichte Hannah im umbrischen Dorf, deren Bewohner sich ihr gegenüber als sehr verschlossen zeigen. 

Hier also die Unwägbarkeiten der Gegenwart, dort der Rückblick in die Vergangenheit, aufgezeichnet in reflektierenden und von einer Dorfbewohnerin versteckten Briefen der alten Eli(sabeth Christ), die ihre Nichte erst am Ende des Romans findet. Der Leser aber weiß mehr, und so enthüllt sich vor ihm ein Drama an menschlichen Unzulänglichkeiten, Borniertheit, Eifersucht und kommunikativem Unvermögen. Die höchst spannende Geschichte von Hannah und Sigrid, von Eli, Girgio und Livia, von Rose, Hannah und Matteo, dem Züchter alter Apfel- und Birnensorten, von Roberta und ihrer Tochter, der alten Assunta, dem schweigsamen Bauern Santini und dem leicht irren Peppino hier zu erzählen, hieße dem Leser die Entdeckerfreude nehmen, wenn er alle paar Seiten neue Zusammenhänge erahnt und dann bestätigt findet. Wie schwierig die Liebe aber sein kann, wie sehr das Gefühl eben komplett anders spielt als der Verstand, das erleben mehrere Protagonisten auf schmerzliche Weise. Höchst perfide kann das Leben zwischen diesen Buchseiten sein und zugleich wundervolle Momente bieten, Glückseligkeit und hoher Absturz − eine Urlaubslektüre, die sich in Dingolfingen ebeso gut liest wie im Schatten umbrischer Olivenhaine.

Anja Jonuleit: "Der Apfelsammler". dtv premium, 366 S., 14,90 Euro