Neu im Regal - Lesetipp der Woche

Ein Versuch, das Nichts zu fassen

3. März 2015
von Stefan Hauck
Ungewöhnlich: Dieses Buch hat ein Loch, durch alle Seiten hindurch. Und Illustrator Øyvind Torseter spielt mit diesem Nichts: Philosophisch nähert sich der Betrachter einem Phänomen an.
Vielleicht hat sich der norwgische Illustrator Øyvind Torseter von den norwegischen und dänischen Münzen inspirieren lassen, die in der Mitte ein Loch haben – früher fädelte man die Kronen auf und trug sie an einer Kordel bei sich. Torseter hat die Mitte des Buchs mit einem hübsch kreisrunden Loch durchstanzen lassen, so dass der Leser einmal quer durchs gesamte Buch schauen kann, und er spielt auf den Innenseiten mit dem Phänomen des Nichts. Sein Held, ein junger Mann, zieht in eine neue Wohnung und entdeckt beim Auspacken seiner Umzugskisten plötzlich ein Loch in der Wand – das der Betrachter natürlich schon längst gesehen hat.  Beim Versuch, es zu fassen, verwandelt sich das Loch, bewegt sich, taucht als Bullauge der Waschmaschine auf, rollt als Kugel über den Fußboden.  Um das Phänomen zu ergründen, packt der Held das Loch nach einer Jagd quer durch die Wohnung in eine Kiste und bringt es zu einem wissenschaftlichen Institut.
Auf dem Weg dorthin taucht das Loch in unterschiedlichen Varianten auf, als Ampelrot, Luftballon, Baugrubenloch, als O im Wort Kiosk:  eine Einladung nicht nur an jüngere Betrachter, Kreise und Löcher in der Umgebung zu suchen – die entdeckt man nach dem Lesen des Buchs ganz automatisch. Unnötig zu sagen, dass die Wissenschaftler nach eingehender Vermessung nichts über das Wesen des Lochs herausfinden, im Gegensatz zum Leser, der das Geheimnis längst begriffen hat. Sie behalten es zur weiteren Beobachtung. Und, klar: Zurückgekommen in die Wohnung, ist das Loch natürlich wieder unauffällig da. Ein ebenso spielerisches wie philosophisches All Age-Buch zum Verschenken.

Øyvind Torseter: Das Loch. Gerstenberg, 64 S., 19,95 Euro