Klaus Wagenbach trat als letzter ans Rednerpult und der Applaus wurde jetzt so laut wie sonst nur bei einem Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Brasilien. (Wohl nicht ganz zufällig wurde das große Wagenbach-Fest an einem spielfreien Tag gefeiert.) „Gegen die Verleumder des Buches“ trat der Altverleger einmal mehr an. Und kaum einer (vielleicht mit Ausnahme von Michael Krüger) kann das schließlich so wie er – von der handwerklichen Tradition des Büchermachens, der Sorgfalt und Achtsamkeit als verlegerischer Pflicht, der Dauerhaftigkeit und Körperlichkeit des Buches zu schwärmen – und im Gegensatz dazu „das graue Plastikgerät“ – alle E-Book-Reader dieses Planeten also – gleich noch ein bisschen grauer und unscheinbarer aussehen zu lassen. Die digitale Welt ist für ihn ein anderes Universum, mit dem Klaus Wagenbach nichts verbindet. Zu erzählen bleibt da nur von einer großen Fremdheit. Glücklicherweise kam der 83-Jährige rasch zurück zum Vertrauten – mit dem wunderbaren Zitat eines Autors seines Verlags, von Peter Brückner nämlich: „Wer das Nichtstun ebenso wie die Arbeit scheut, findet leicht zum Buch.“ Klaus Wagenbachs Geburtstagswunsch an die Feiernden knüpfte an diesen erfahrungsgesättigten Satz, der vielen aus dem Herzen zu sprechen schien, ganz unmittelbar an: Die Leser sollten ihre Wunschlektüre in einem Buchladen – und also nicht im Internet – suchen. Unvermeidlich wäre es dann, dass sie dank der Überredungskunst des Buchhändlers oder der Buchhändlerin mindestens drei Titel mit nach Hause nähmen – darunter hoffentlich einen aus dem Hause Wagenbach.
Dass die Käufer damit keine schlechte Wahl träfen, bewies die sich anschließende unterhaltsame literarische Reise durch 50 Jahre Wagenbach-Programm. Wer immer die Eingebung hatte, Mitglieder des Gorki-Ensembles aus den schwarzen Quartbüchern oder den roten Salto-Bänden lesen zu lassen – es war ein sehr gute Idee. Denn innerhalb von etwa einer Stunde wurde so äußerst kurzweilig kenntlich, was dieses Verlagsprogramm ausmacht, wie vielfältig es zusammengesetzt ist, welche ganz unterschiedlichen Bücher und Autoren es repräsentieren.
Ein Genuss jedenfalls als Mechthild Großmann mit ihrer rauchigen Stimme Alice Vollenweiders Kochrezept „Risotto Milanese“ vortrug oder Sophie Rois den britischen Humor von Alan Bennett zum Klingen brachte. In Djuna Barnes’ Ratschlägen für die intelligente Frau, aus denen ebenfalls vorgelesen wurde, heißt es: „Was haben Sie nach Mitternacht schon gehört, das Sie für wertvoller halten als Ihren Nachtschlaf?“ Da wären jetzt die Feiernden im Garten des Maxim-Gorki-Theaters zu befragen. Wie auch immer die Antworten ausfallen mögen. Es war ein perfekter Abend.