Dankesrede Jürgen Horbachs anlässlich der Verleihung der Friedrich Perthes-Medaille

„Bergtouren statt Geschwindigkeitssportklettern“

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Börsenverein hat Jürgen Horbach für seine langjährige ehrenamtliche Tätigkeit – zuletzt als Schatzmeister –am 6. Juni auf den Buchtagen in Berlin die Friedrich Perthes-Medaille verliehen. Für seine Dankesrede hat sich Horbach von Thomas Bernhard und seinem Skihelmverkäufer inspirieren lassen.

Die Dankesrede Jürgen Horbachs (gehalten am 6. Juni in Berlin) hier im Worlaut:

 

Lieber Herr Vorsteher,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

als ich zu Beginn der letzten Skisaison zum ersten Mal in meinem Leben einen Helm kaufte, als Letzter meiner Generation, war der Verkäufer fassungslos. Sie kommen wohl aus der Zeit als man sich noch nicht anschnallte. Das bejahte ich entspannt, denn in diesen Zeiten hatte man auch noch ganz andere Sachen gemacht. Zivildienst statt Kriegsdienst (ja, so hieß das damals) zum Beispiel, freiwillige Unterrichtung von Kindern aus sozialschwachen Familien, richtige Bergtouren statt Geschwindigkeitssportklettern, Fahrradfahren ohne Helm sowieso, politische Studentenarbeit.

Mit der freiwilligen Übernahme von Tätigkeiten, die Arbeit machen, ist das so eine Sache. Der Haupttrost zwischendurch ist der, dass man jederzeit aufhören könnte. Was man aber nicht tut, wenn man sich hat wählen lassen, denn das wäre nicht anständig.

So beschwerlich das Amt eines Vorstandes im Börsenverein auch manchmal sein mag, sich als Schatzmeister wählen zu lassen, ist eine reine Freude. Dies sei allen zukünftigen Kandidaten zugerufen. Die „FAZ" vom 6. Dezember 2012 befasste sich in einem Artikel zu den Präsidiumswahlen der CDU ausführlich mit der Schatzmeisterfrage und kam zu dem Schluss, dass „Schatzmeister in allen Parteien ein herausragendes Ergebnis erhalten, allein deswegen, weil sie ein ganz und gar unbeliebtes Amt ausüben". Das stimmt im Prinzip. Das ist aber auch das ganz besonders Reizvolle daran, denn der weitaus größte Teil der Politik ist nur soviel wert wie das Geld, das man dafür ausgeben kann. Das ist bei uns im Börsenverein nicht anders.

Die Ämter von der Art, wie sie unser Verein zu besetzen hat, unterliegen per se dem Verdacht des Anachronismus. Wer macht denn heute noch so etwas, dieses Gekungel in endlosen Sitzungen, intransparent wie das Procedere beim Freihandelsabkommen mit den USA. Total von gestern? Wenigstens dürfen keine Zigarren mehr dabei geraucht werden.

Mag sein, stimmt aber trotzdem nicht. Richtig ist zwar, dass die Verfassung unseres Vereins in die Jahre gekommen ist, wie alle föderalen Statuten der Nachkriegszeit. Eine Renovierung täte sehr gut. Aber die Wahlämter sind eine bürgerliche Errungenschaft, die auch in Zeiten von Social Media und Online-Aktivitäten nichts von ihrer grundsätzlichen Bedeutung eingebüßt haben. Teilhabe an etwas ist viel. Das sollten alle Mitglieder nicht geringschätzen. Was passiert, wenn man sie nicht hat, kann man täglich in den Nachrichten verfolgen. Vermeintliche Anachronismen zu verteidigen, kann manchmal schon sehr fortschrittlich sein. Und ich selbst habe zu vielen Menschen aus unserer Branche mehr vertrauenswürdige Verbindungen knüpfen können, als dies jemals über einen Facebook Account, den ich nicht habe, möglich gewesen wäre. Es ist eine gute Sache, verantwortlich mit dabei zu sein, schon um zu verhindern, dass etwas geschieht, was man überhaupt nicht will.

Dem Skihelmverkäufer hätte ich noch gerne gesagt, dass ich auch aus der Zeit käme, in der man noch unangeschnallt Thomas Bernhard verehren konnte. Der Skihelmverkäufer hätte Thomas Bernhard aber für einen Skirennfahrer gehalten und gefragt, welche der großen Abfahrten der denn gewonnen habe. – Heute kann man ja niemandem mehr mit Thomas Bernhard kommen. Der Bernhard war aber so herrlich anachronistisch gemein, dass ich sofort, als ich von der heutigen Ehrung erfuhr, sein Buch „Meine Preise" zur Hand nahm, in dem er nicht nur den Preisen selbst, sondern vor allem denen, die sie ihm verliehen hatten, an die Gurgel ging. Hier erhoffte ich mir Anregungen für diese Danksagung. Ich dachte, nach 25 Jahren der Ruhe könnte eine literarische oder pseudo-literarische Beschimpfung, total politisch unkorrekt, doch wieder einmal etwas Erfrischendes haben und auch bei uns etwas bewegen. Einmal für einen Moment wieder ganz offline statt online zu sein. Mitzumachen heißt ja nicht, immer alles und alle gut zu finden. Dann bemerkte ich jedoch, dass Bernhard eigentlich über nichts anderes schrieb, als über die Preisgelder, die immer viel zu niedrigen Preisgelder, die die reichen Institutionen und Vereine in ihrer Knauserigkeit nur aussetzten. Dafür habe ich als ehemaliger Schatzmeister unseres Vereins natürlich großes Verständnis – also hier in dieser heutigen Situation für Thomas Bernhard.

Ich danke daher dem Ehrungsausschuss und dem Vorstand des Börsenvereins für die schöne Medaille – und das damit verbundene überaus großzügige Preisgeld!

Jürgen Horbach