»Metadaten verkaufen Bücher«
Ein Verlag, der sein Programm sichtbar halten will, sollte alle wichtigen Titelinformationen automatisiert an den Handel geben. Und das Sortiment sollte seine IT-Systeme nachrüsten. Dazu rät MVB-Chef Ronald Schild.
Ein Verlag, der sein Programm sichtbar halten will, sollte alle wichtigen Titelinformationen automatisiert an den Handel geben. Und das Sortiment sollte seine IT-Systeme nachrüsten. Dazu rät MVB-Chef Ronald Schild.
Das Thema Metadaten war in den Verlagen nie beliebt. Gerade ändert sich aber das Bild. Woran liegt das?
Metadaten wurden bislang in der Tat als hässliche Stieftochter betrachtet, mit der sich Praktikanten herumschlagen mussten. Heute entwerfen die Geschäftsführer der Verlagshäuser Meta-datenstrategien und bauen ganze Geschäftsprozesse um, damit ebendiese Metadaten schneller und besser bereitgestellt werden.
Wie sieht es im Handel aus?
Ganz ähnlich. Waren bislang bibliografische Daten reines Mittel zum Zweck, nicht vorrätige Titel zu finden, wollen Buchhändler sie zukünftig für nahezu jeden Geschäftsvorfall nutzen – vom Einkauf über das Endkundenmarketing bis hin zur Bestückung ihrer Shop-Datenbank.
Man reagiert also auf die wachsenden Verkäufe im Internet?
So ist es. Diese Verlagerung betrifft auch das physische Buch. Der Kauf von E-Books findet ja ohnehin fast ausschließlich über das Netz statt. Das hat Auswirkungen auf den Kunden, die Angebotsbreite und letztlich auf den gesamten Wettbewerb im Handel.
Wie ändern sich denn die Kunden?
Sie werden anspruchsvoller. Kunden gewöhnen sich schnell an den Luxus, den große Online-Shops bieten. Millionen von Titeln stehen zur Auswahl und können häufig über Nacht nach Hause geliefert werden. Zu nahezu jedem Titel, und sei er noch so abseitig, finden sich Bewertungen und Rezensionen, Cover und Zusatzinformationen. Und: Kunden differenzieren immer weniger zwischen online und offline. Sie erwarten auch beim stationären Einkauf die Auswahl und die Informationen, die sie online vorfinden.
Was bedeutet das für den Buchhandel konkret?
Das Bibliografieren in der ein oder anderen buchhändlerischen Datenbank reicht bei Weitem nicht mehr aus. Der Buchhändler muss vielmehr in der Lage sein, zu jedem Titel eine qualifizierte Empfehlung zu geben, selbst zu solchen, die er noch nie in der Hand gehalten hat. Ganz zu schweigen von der zuverlässigen Auskunft, ob und wann ein Titel lieferbar sein wird. Diese Information wird in der Kundschaft immer mehr zum Hauptverkaufsargument. Diese beiden Beispiele belegen, welch große Rolle gut gepflegte Metadaten neuerdings für die Kaufentscheidung spielen.
Welche Rolle spielen Metadaten für Bücher, nach denen ein Kunde nicht gezielt sucht?
Da sind wir beim mindestens ebenso wichtigen Thema der Auffindbarkeit, neudeutsch: der Discoverability eines Titels. In einer gut sortierten Buchhandlung finden sich 10 000, 20 000 oder in sehr großen Häusern 50 000 Titel. Schon diese Zahlen stellen eine enorme Auswahl dar, die für den Konsumenten nur durch die Einteilung in Sortimentswelten und stringente Kategorisierung beherrschbar bleibt. Der stetig wachsende Online-Kanal kennt die physischen Restriktionen von Ladengeschäften nicht. Der gesamte Titelbestand wird dargestellt, ergänzt um ausländische Kataloge. Zusammen mit den E-Book-Katalogen, die ihrerseits wiederum Millionen von Titeln umfassen, lassen sich online Millionen und Abermillionen von Büchern finden.
Theoretisch!
Genau das ist die Frage: Gleicht es nicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen, in einem solchen Angebot das Buch zu finden, das man eigentlich sucht, ohne es zu kennen? Haben Verlag und Autor nicht das Glück, in einer der kuratierten Bestseller- oder Empfehlungslisten zu erscheinen, bleibt nur der Weg, den eigenen Titel so gut zu beschreiben, dass er durch Suchfunktionen und Algorithmen gefunden wird. Genau das tun Metadaten.
Wie tun sie das?
Sie beschreiben, in welcher Epoche ein Roman spielt, in welchem Land, ob es um Armut geht oder Liebe, wie die Hauptcharaktere heißen und welchen anderen Titeln der Roman ähnelt. Damit stellen Metadaten sicher, dass relevante Titel auch bei vagen Suchanfragen angezeigt werden. Ohne diese Metadaten versinken Titel im Nirwana der Buchkataloge.
Große Online-Plattformen haben das bereits verstanden ...
Ja, sie reichern ihre Kataloge immer stärker an. Damit werden sie für den Endverbraucher immer interessanter, aussagekräftiger und zielgenauer und unterstützen den Trend hin zu einer wachsenden Konzentration auf Handelsseite.
Heißt das, die Aufwertung von Metadaten in der gesamten Branche würde der Konzentration entgegenwirken?
Eine Aufwertung der Metadaten wäre jedenfalls für die Aufrechterhaltung einer vielfältigen, lebendigen Buchhandelsstruktur sehr förderlich. Das muss in den Lektoraten, den Herstellungs- und Marketingabteilungen der Verlage gesehen werden.
Wozu raten Sie den Verlagen?
Die Verlagsprozesse und die IT-Systeme müssen so angepasst werden, dass das VLB und die Handelspartner genau dann mit Metadaten versorgt werden, wenn sie sich ändern. Dies gilt allen voran für Lieferbarkeitsinformationen, die tagesaktuell sein sollten. Idealerweise finden die Aktualisierungen automatisiert statt. Der Verlag definiert, wann ein Datum an den Handel übermittelt werden soll; die IT-Systeme übernehmen diese Aufgabe automatisch immer dann, wenn die definierte Voraussetzung erfüllt ist. Bislang werden solche Aufgaben zu oft noch auf Zuruf erledigt.
Die Umstellung der Prozesse bedeutet für Verlage aber auch einen erheblichen Aufwand.
Andererseits dürfen Verlage erhebliche Vorteile erwarten: Die Erstellung der Metadaten wird einfacher und zuverlässiger, die Metadaten können Rückschlüsse auf Erfolge oder Misserfolge von Werbemaßnahmen geben, und letztlich belegen unabhängige Studien den starken Zusammenhang zwischen Datenqualität und Verkaufserfolgen.
Welche Änderungen stehen bei den Buchhandlungen an?
Die geschilderten Maßnahmen erhöhen die Datenmenge, die auf Buchhändler zukommt. Damit werden Änderungen von Arbeitsprozessen und IT-Systemen erforderlich. Die Online-Shops der Buchhändler müssen die regelmäßig aktualisierten Daten der Verlage aufnehmen und sofort bearbeiten können. Es wird nicht mehr ausreichen, Warenwirtschaftssysteme einmal monatlich mit den Daten der VLB-DVD zu versorgen. Diese Systeme müssen in Echtzeit angebunden werden und die Daten in ihrer gesamten Detailtiefe so anzeigen, dass der Buchhändler im Laden optimal beraten kann.
Lassen sich die Metadaten auch für das Endkundenmarketing der Buchhandlungen nutzen?
Natürlich! Der Buchhändler kann die Daten, die von den Verlagen zur Verfügung gestellt werden, direkt in seine Systeme übernehmen und für sein Endkundenmarketing verwenden. Warum nicht einfach Neuerscheinungsdaten der Verlage mit wenigen Handgriffen in einen Endkundennewsletter umfunktionieren, der regelmäßig an die Stammkunden verschickt wird?
Auf das VLB als die zentrale Datendrehscheibe kommen auch große Veränderungen zu. Wie informieren Sie die Branche darüber?
Genau auf diese Veränderungen zielt unser Projekt VLB+. Auf den Buchtagen in Berlin werden wir auf verschiedenen Veranstaltungen umfangreich über den Zeitplan und den Umfang des Projekts berichten.
Interview: Torsten Casimir