24 Stunden Buch: Ein Literaturfest in Berlin

Mit "Don Juan" unterwegs auf der Spree

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Bunt, verrückt und wortgewaltig: "24 Stunden Buch" ist ein Veranstaltungsmarathon nach Berliner Art. Die zweite Auflage lockte die Leser am Wochenende unter anderem mit einer Bootstour und Literaturwrestling − für Nachtschwärmer und Aufgeweckte.

Busse gab es diesmal nicht. Der Gedanke, dass sich Menschen 24 Stunden lang von einer Lesung gleich zur nächsten Buchvorstellung chauffieren lassen, war vielleicht doch etwas verwegen. Und so wurde der durchgängige Shuttle-Verkehr bei der zweiten Auflage von "24 Stunden Buch" nicht wieder angeboten. Das breit gefächerte Angebot ist ja schon beherzt genug.

Offeriert wurden lange Lyriknächte, Besichtigungstouren durch Buchhandlungen und Verlagshäuser, Kneipenabende, klassische Lesungen und literarische Short-Trips. "Unser Ziel war es, ein buntes Programm anzubieten, das für jeden etwas Interessantes bereit hält", sagt Detlef Bluhm, Geschäftsführer beim Landesverband Berlin-Brandenburg des Börsenvereins, der den Veranstaltungsmarathon organisiert hat.

Die Besucher konnten Gerhard Henschel bei einer Lesung aus seinem "Bildungsroman" im Literaturhaus erleben, Sigrid Löffler stellte ihr Buch "Die neue Weltliteratur und ihre großen Erzähler" in der Buchhandlung Starick vor. Man konnte aber auch den Bach-Roman von Jens Johler im Wohnhaus des großen Architekten Bruno Taut im brandenburgischen Dahlewitz kennenlernen oder mit dem Salonschiff "Don Juan" übers Berliner Wasser schippern.

Zur Bootstour hatte der Delius Klasing Verlag eingeladen. Und das nicht von ungefähr, sondern passend zur Präsentation des Titels "Auf dem Wasser durch Berlin".  Autorin Joyce Rosenthal hat drei Jahre lang Material für ihr Buch gesammelt und die Flüsse und Kanäle in und um Berlin befahren. "Wo kann man am besten anlegen? Wo ist der beste Auslaufplatz für den Hund?" – derartige Fragen wollte sie mit ihrem Führer beantworten. Zwölf Touren schildert sie im Buch. Auf die von ihr so apostrophierte "Otto-Suhr-Tour. Ins Herz der Hauptstadt" ging es am Freitagnachmittag mit dem luxuriösen kleinen Salonschiff und etwa 20 Gästen.

"Vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße" hatte Kurz Tucholsky einst die Berliner Sehnsucht nach dem Lebensidyll beschrieben. Auf der "Don Juan" wurde daraus in freier Übersetzung: "Vorne der Kudamm, hinten der Wannsee". Und obschon geographisch vage ging es gutgelaunt vorbei an Berliner Dom, Museumsinsel und Reichstag; dazu gab es Sekt, Ananas und Melonen – spendiert vom Verlag.

Dessen Vertriebschef Folkert Roggenkamp verkaufte zum Schluss noch ein paar Exemplare des Buchs an die Ausflugsgruppe – und so waren alle ganz glücklich während dieser Buchvorstellung, die eigentlich mehr ein ausgelassener Ausflug war. Der Kapitän übergab dann auch das Ruder seinem Bootsmann, spielte Schifferklavier und sang dazu "Amsterdam" von Jacques Brel: "Im Hafen Amsterdams / Tanzen die Seeleute / Und reiben ihre Leiber / an denen der Weiber".

Der Text hätte gegen Mitternacht auch gut gepasst – beim Lyrikwrestling in der Brotfabrik in Weißensee. Was das ist? Die Verbindung von zwei ganz verschiedenen Sachen: Lyrik und Wrestling eben. Das Ergebnis war eine grelle, irrwitzige Show. Ein Gedichtwettkampf verbunden mit der ganzen schrillen Theatralik des Wrestlings und dem hysterischen Anfeuerungsgebrüll der Zuschauer. Je kruder der Reim und je auffälliger die Performance (von der Jury, die Punkte vergab und Sieger kürte, "Technik" genannt), umso besser.  Und also traten an: The Bastard gegen Fabulous Fab und Evil Brazil gegen Don Rosso.

Kaum zu übertreffen war dabei der Vortrag des großen Latrinengedichts von Günter Eich: „Über stinkendem Graben / 
Papier voll Blut und Urin / 
umschwirrt von funkelnden Fliegen / 
hocke ich in den Knien“. Wie soll man gegen solch ein Meisterwerk, in dem Eich auch noch "Hölderlin" auf "Urin" reimte, bestehen? Vielleicht einfach mit der selbstbewussten Ansage: "Ich erhöhe um einen Handke!" Oder mit diesen schönen Zeilen: "Nie wieder werden deine Elefanten in die Botschaft scheißen".

Aber auch so war zu punkten: "Ene dene Dorz / de Deiwel lässt'n Forz / lässt ihn in die Hose / stinkt nach Aprikose". Das "Ultimate Death Match" gewann am Ende The Bastard alias Martin Piekar, 2012 Gewinner beim Open Mike in der Sparte Lyrik. Der hatte nicht nur die besten Reime ausgesucht, sondern war einfach am auffälligsten präpariert und perfekt ausgestattet – mit weiß geschminktem Gesicht und langen dunklen Haaren.

44 Veranstaltungen gab es insgesamt während „24 Stunden Buch“. Detlef Bluhm will das Programm im nächsten Jahr gern noch stärker akzentuieren. Der nächtliche, schrille Teil wird dann vielleicht noch mehr Raum einnehmen, denn das sei „Berlin at its best.“ Bluhm muss es wissen, er war beim Lyrik-Wrestling bis in den frühen Morgen dabei.