Unter falscher Flagge

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Eine Kampagne für freie E-Lektüre ist eine feine Sache – wenn sie die wirtschaftliche Grundlage der Autoren respektiert. Meint Richard Mollet, Geschäftsführer des britischen Verlegerverbands The Publishers Association.

Am 23. April, als in Groß­britannien die World Book Night stieg, lancierten der Europäische Bibliotheksverband (EBLIDA) und sein britischer Ableger (CILIP) die Kampagne »Right to E-Read«. Die zentrale Botschaft: Europäische Bürger sollten vom Recht, elektronisch zu lesen, Gebrauch machen dürfen.

Für die Buchbranche verspricht es eine der erfolgreichsten Kampagnen aller Zeiten zu werden – denn das erklärte Ziel ist bereits erreicht. Es steht jedem in unserem Land offen, elektronisch publizierte Worte mit einem Endgerät zu lesen. Britische Leser haben sich die Möglichkeit, elektronisch zu lesen, im vergangenen Jahr etwa 200 Millionen Pfund kosten lassen – allein für Inhalte, Geräte noch gar nicht eingerechnet. Die Kampagne rennt also offene Türen ein: toller Slogan, aber irgendwie schon passé.

Zur Aufklärung dieses offensichtlichen Widerspruchs empfiehlt sich die Lektüre des Kleingedruckten in den Streitschriften. Den beiden Bibliotheksverbänden geht es nicht wirklich um das Recht der Menschen, E-Books zu lesen, sondern um das Recht der Bibliotheken, sie zu verleihen – zwei grundverschiedene Dinge.

Warum also die falsche Flagge? Warum nicht mit »Recht auf Onleihe« in den Kampf ziehen? Ein Grund liegt auf der Hand. Es ist leichter, Menschen dazu zu bringen, für etwas zu kämpfen, das sie unmittelbar betrifft. Die Interessen anderer erregen die Gemüter meist weniger. Also hat der Europäische Bibliotheksverband geschickt ein breiteres Publikum vor seinen Karren gespannt.

Zweitens erregt nichts die politischen Gemüter mehr als eine Aussage wie »ein Recht auf X«. Man fühlt sich sofort erinnert an hehre politische Kämpfe der Neuzeit, wie jene um das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit.

Selbst wenn man die Kampagne auf ihr eigentliches Anliegen reduziert, erscheint die Argumen­tation extrem wacklig. Sie gründet sich auf die Ansicht, exklusive Rechte von Autoren und Verlagen hätten sich den Wünschen von Bibliothekaren unterzuordnen.

Es spricht nichts dagegen, Lesern E-Books anbieten zu wollen. Doch dafür einzutreten, ohne einen Gedanken an die möglichen Auswirkungen auf die Haupteinnahmequelle von Autoren zu verschwenden, nämlich den Verkauf, zeugt von einer geradezu absurden Gleichgültigkeit.

Der britische »Sieghart Report« beschäftigte sich 2013 mit dem Thema Onleihe und erkannte die reale Gefahr, die Buchhändlern, Autoren und Verlegern ins Haus stehen könnte, sollte Onleihe unbedacht zum Einsatz kommen. Daher forderte die Kommission folgerichtig Probeläufe, Pilot­projekte und Daten. Und infolgedessen hat die Publishers Association zusammen mit der Society of Chief Librarians einjährige Pilot­studien auf den Weg gebracht.

Wie jedes Menschenrecht entbindet uns die Freiheit, etwas zu tun, nicht notwendigerweise von dem damit verbundenen Preis. Das Gegenteil wäre schön, doch Sie können sich das wirtschaftliche Chaos ausmalen: Demonstranten würden sich weigern, für große Bettlaken, Stangen und Farbeimer zu zahlen, mit der Begründung, dass sie angeschafft wurden, um bei einer Demonstration vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch zu machen. Selbst wenn das Recht auf E-Books also je gesetzlich verankert werden sollte, würde es dennoch nicht zu einem freien Gut.

Eine Grundsatzdebatte über Onleihe von E-Books zu führen ist nicht das Problem. Aber führen wir genau darüber doch eine ehrliche und präzise Debatte, ohne hochtrabenden Slogan, der die eigentliche strittige Frage bewusst umgeht.