Preis der Leipziger Buchmesse

Gute Literatur unter der Sonne

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Der renommierte Preis der Leipziger Buchmesse geht in der Kategorie Belletristik an Saša Stanišić für seinen Roman „Vor dem Fest“. Der Kulturwissenschaftler Helmut Lethen wird in der Kategorie Sachbuch / Essayistik für „Der Schatten des Fotografen“ ausgezeichnet. Robin Detje erhält die Auszeichnung für seine Übersetzung des Romans „Europe Central“ des Amerikaners William T. Vollmann. Der Preis ist mit jeweils 15.000 Euro dotiert.
In seinem umjubelten Debüt „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ hatte der gebürtige Bosnier Saša Stanišić davon erzählt, wie ein Kind den Bosnienkrieg erlebt. Sein zweiter Roman „Vor dem Fest“ hingegen spielt in der friedlichen ostdeutschen Provinz heutiger Zeit. Der Schriftsteller Maxim Biller hat Stanišić dafür vehement kritisiert und ihm einen „radikalen autobiografischen Themenwechsel“ vorgehalten. Recht hat er. Doch der Wechsel ist auf glanzvolle Weise geglückt. In „Vor dem Fest“ (erschienen bei Luchterhand) erzählt Stanišić, der sich nie allein als Spezialist für Bosnien oder Migrantenbiografien gesehen hat, mit Wärme und Witz von dem kleinen, fiktiven Ort Fürstenfelde. Voller Sympathie, aber auch augenzwinkernd blickt er auf das Treiben der Bewohner. In einem bunten Reigen lässt Stanišić die Dorfgemeinschaft in kurzen Kapiteln und Sequenzen am Leser vorbeidefilieren. Locker verwoben damit sind ältere Mythen und Sagen. Im Verbund mit der Gegenwart erzählen sie vom Kontinuum des Lebendigen – trotz aller Niederlagen und Katastrophen.
Die Jury prämierte Stanišić, der gemeinsam mit Katja Petrowskaja als Favorit für die Auszeichnung galt, nun als „liebevollen Alltagsethnografen“, der einen vitalen literarischen Kosmos!“ entworfen habe. Sein Fürstenfelde zeige „die Menschheit in einer Nussschale“. Das Publikum in der sonnigen Messehalle feierte die Preisvergabe an den sympathischen Stanišić mit euphorischem Beifall.
Als Gegenstück zu „Vor dem Fest“ lässt sich der Roman „Europe Central“ von William T. Vollmann lesen, für dessen Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch Robin Detje prämiert wurde. „Ein Buch, das durch die versehrte Kriegslandschaft Mitteleuropas führt und zugleich ein vibrierender Text aus Schostakowitsch und Heeresgruppe Süd“, lobte die Jury. Die deutsche Fassung, acht Jahre nach dem Original bei Suhrkamp erschienen, transportiere auf kongeniale Weise die Vielstimmigkeit diese Jahrhundertepos über Revolution, Krieg und Diktatur im 20. Jahrhundert. Anderthalb Jahre hat Detje gebraucht, um das Geschichtenkonvolut ins Deutsche zu bringen. „Ich freue mich wie ein Schneekönig“ bekannte er. Und verriet auch, dass er nach getaner Arbeit vom Autor gezwungen worden war, „viel Absinth“ mit ihm zu trinken.
Der Preis in der Kategorie Sachbuch / Essayistik ging vielleicht etwas überraschend an Helmut Lethen für sein Buch über die Wirkkraft von Bildern: „Der Schatten des Fotografen“ (erschienen im Rowohlt Berlin Verlag). Als eine „Verhaltenslehre des Sehens“ lobte die Jury Lethens so „nachdenklichen wie eleganten Essay“. Schwungvoll bedankte sich der Kulturwissenschaftler, der zugab von der Oskar-Preisverleihung gelernt zu haben, bei seinen fünf Söhnen, seiner Frau und seiner Exfrau. „Am schönsten wäre es, wenn wir alle fünf den Preis hätten“, so Lethen zuletzt im schönen Überschwang.