Eröffnung der Leipziger Buchmesse im Gewandhaus

"Literatur ist Anti-PR"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Thomaner jubilieren, der Bundesregierung werden mahnende Worte ins Pflichtenheft geschrieben, mit der Vergabe des Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung an den Inder Pankaj Mishra erleben wir die mutige Neuinterpretation einer literarischen Ehrung: Die Leipziger Buchmesse 2014 ist eröffnet.

Mit einem Festakt im Gewandhaus und der Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung starteten am Mittwochabend die Leipziger Buchmesse und das flankierende Lesefest "Leipzig liest". Der mit 15.000 Euro dotierte Preis ging an den indischen Historiker und Publizisten Pankaj Mishra für sein Werk "Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens" (S. Fischer).

"Literatur ist der natürliche Feind der Schlagworte, Literatur ist Anti-PR." So treffend wie im mit sanftem französischen Akzent vorgetragenen, aber von fein ziselierten Widerhaken durchwebten Grußwort des Schweizer Bundesrats Alain Berset war die Sache, um derentwillen man sich in Leipzig ja auch trifft, lange nicht bezeichnet worden. Musikalisch umrahmt wurden die noblen Worte vom Gewandhausorchester und den glockenhell schmetternden Thomanern. Begrüßt wurde die feierlaunig gestimmte Branche ferner von Leipzigs OBM Burkhard Jung, dem sächsischen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich sowie − erstmals an dieser Stelle − Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller.

Leipzig, so Riethmüllers sympathische Lokalbeschreibung, sei für ihn "ein Ort, der so ist, wie ich mir eine lebendige, junge und frische Buchhandlung vorstelle". In seinem Grußwort entwarf Riethmüller das Bild eines selbstbewussten Buchhandels als Vorreiter und Modell für den gesamten Einzelhandel − und beleuchtete im Folgenden noch einmal kritisch die Auswirkungen des geplanten Freihandelsabkommens mit den USA auf die Branche. Am Ende mahnende Worte: "Wir verlangen von der EU-Kommission, die Geheimniskrämerei zu beenden und offenzulegen, welche konkreten Waren und Dienstleistungen im Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft auf der Agenda des Freihandelsabkommens stehen. Die Bundesregierung fordern wir auf, eine umfassende kulturelle Ausnahme nachzuverhandeln."

In seiner Laudatio auf Pankaj Mishra pries Ilija Trojanow dessen "mit dem Atem eines Kosmopoliten" geschriebenes Buch, das am Ende keinen Zweifel lasse, dass wir eine "Ära von Antagonismus und Selbstsucht zu Gunsten einer wahren Universalität im Denken und Handeln" überwinden müssen. Der erste Schritt auf diesem Weg ist zweifellos eine "multiperspektivische historische Erkenntnis", wie sie der überaus verdiente diesjährige Preisträger liefert.

In seiner auf Englisch vorgetragenen Dankrede zeigte sich Pankaj Mishra überzeugt, dass der Boden für komplexere Formen des Selbstverständnisses, frei von Selbstgefälligkeit, nationalistischer Mythenbildung und Rassendünkel, längst bereitet ist. In seiner Darstellung gemeinsamer Erfahrungen und Gespräche über politische und geographische Grenzen hinweg sieht der indische Autor eine "bescheidene Einladung" an Asiaten wie Europäer, über die Ghettos nationalistischer und imperialer Geschichte hinaus zu denken: "Ich verstehe den Preis als große Bestätigung der Tatsache, dass unser Selbstverständnis in einer so komplex vernetzten Welt unbedingt weniger provinziell und kosmopolitischer werden muss."

Auf diesem langen und steinigen Weg sollten uns die nächsten vier Tage einen kleinen Schritt weiter bringen. Wenn das auch noch die Geschäfte beflügelt: umso besser.