Onanie-Verbot, Abneigung gegen lesbische Frauen, generelle Kritik an Leihmutterschaft, eine Abscheu gegenüber der modernen Medizin: Nicht nur in der „taz", sondern auch von Schauspielhaus-Chef-Dramaturg Robert Koall wird die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff derzeit hart angegangen, gar als gefährliche christliche Fundamentalistin verschrien.
Es sind wenige Stellen, die in der Rede (die vollständige Rede unter dieser Meldung angehängt als mp3) zur Munition gegen die Autorin werden: Schwarz auf Weiß lesen sich diese herausgebrochenen Zeilen auch anders, sind ihres ironischen Untertons beraubt, wirken vielfach verstörender.
„Sie, Frau Lewitscharoff, um es mal zusammenzufassen, plädieren für die Kopulation. Die lassen Sie gelten. Zwischen Mann und Frau natürlich. Das ist der einzige Weg zur Menschentstehung, den Sie akzeptabel finden. Leihmutterschaft aber ist Teufelswerk, und Onanie mögen Sie auch nicht, wie Sie uns wissen lassen. Ein ‚Onanieverbot' erscheint Ihnen ‚weise'. Vor allem die Abgabe von Samen zum Ziele der künstlichen Befruchtung ist Ihnen ‚nicht nur suspekt', sondern Sie finden sie ‚absolut widerwärtig.'" , fasst Koall zusammen, was ihm im Gehör geblieben ist.
Aber: „Widerwärtig" findet Lewitscharoff eher die Kabinen und den Vorgang des „künstlichen Gemacht-Werdens". Im Falle der Leihmutterschaft verteufelt sie die Fälle, in denen „ausländische Frauen zu Gebärmaschinen degradiert werden - aus ökonomischen Verzweiflungsgründen"
Besonders stören sich Lewitscharoffs Kritiker am Passus am Ende der Rede (die kritisierten Stellen fangen ab Minute 37 an): „Weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, weil es den Kindern etwas anlastet, wofür sie rein gar nichts können. Aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft", sagt Lewitscharoff, und merkt an: „ich übertreibe". Hier erleiden die Worte der Büchner-Preisträgerin trotzdem offenen Schiffbruch. Gesagt ist gesagt, auch wenn man es eigentlich gar nicht so meint.
Das ist ironisch, denn es berührt den eigentlichen Kerngedanken Lewitscharoffs Rede: Der Mensch nimmt sich in ihren Augen zu wichtig und schwingt sich zum Richter über das Leben auf. Als Indiz für diese menschliche Hybris dienen ihr die medizinischen Extreme: „ungebremste Vorausberechnungsgier gegenüber dem eigenen Kind, wobei dubiose Firmen ihre Geschäfte treiben", sowie die Möglichkeit, sich erwünschte Eigenschaften des Kindes im Katalogverfahren auszusuchen.
„Ich denke für gewöhnlich nicht schwarz", schließt Lewitscharoff, die sich dezidiert nicht als Abtreibungsgegnerin oder Verächterin der modernen Medizin begreift. „Glück ist, nicht über alles bestimmen wollen." Vielleicht sollten auch Lewitscharoffs Kritiker nicht Schicksal spielen wollen. Eine verunglückte Passage in einer Rede ist noch kein Skandal.