Interview mit Hans-Peter Oswald über Top Level Domains und Amazons Interessen

"Versuch, Claims auf Zukunftsmärkten abzustecken"

16. Juli 2015
von Börsenblatt
Darf ein Domainname wie „.book“ nur einem Unternehmen wie Amazon gehören? Hans-Peter Oswald, Geschäftsführer der Domainregistrierungsfirma Secura, über das Rennen um die begehrten Plätze im Web.

Die Secura GmbH ist einer der von der ICANN – der Internet Corporation of Assigned Names and Numbers – akkreditierten deutschen Domain-Registrare und ist dazu berechtigt, die rund 1.000 von der ICANN zu vergebenden neuen generischen Top-Level-Domains (gTLD) einzutragen. Dazu musste Secura den ICANN-Vertrag aus dem Jahr 2013 unterschreiben, der mit vielen Auflagen verbunden ist. Schon im vergangenen Jahr sorgte die Ankündigung großer Internetunternehmen für Aufregung, sich Top Level Domains mit bestimmten „generischen“ Namen wie .book, .mobile oder .read zu sichern. Allein für die TLD ".book" bewerben sich derzeit neben Amazon acht Unternehmen. Secura-Geschäftsführer Hans-Peter Oswald über die Folgen des Verteilungskampfs von heute für den Buchmarkt von morgen. 

Wie viele Top Level Domains wurden bisher von der ICANN freigegeben?
Etwa 40 TLDs haben alle Genehmigungsphasen durchlaufen und können jetzt vergeben werden.

Die umkämpfte Domain .amazon, die sich der gleichnamige Internetkonzern sichern wollte, ist aber noch nicht darunter …
Nein, denn es gibt eine starke Opposition dagegen. Die Regierungen der Amazonas-Staaten Brasilien und Peru haben über das Governmental Advisory Committee (GAC), das die Interessen der Regierungen vertritt, energischen Widerspruch gegen die Verwendung von .amazon eingelegt, weil sie nicht wollen, dass der geographische Name „Amazon“ – so lautet die englische Bezeichnung für den Amazonas – für kommerzielle Zwecke genutzt wird. Da rächt es sich dann, dass sich Amazon für einen generischen bzw. geografischen  Namen als Firmennamen entschieden hat. Das GAC hat sich zu der Bewerbung geäußert, aber keine Empfehlung für die Verwendung des Domainnamens abgegeben. Der Entscheidungsprozess ist damit noch offen, denn der ICANN-Vorstand kann unabhängig über die Vergabe beschließen.

Was wird aus ihrer Sicht den Ausschlag geben?
Die Interessenlage ist nur schwer einzuschätzen. Es gibt Überlegungen, die Single-Use-Variante – also die Vergabe von Domains, die von einem Unternehmen ausschließlich für eigene Zwecke genutzt werden – abzulehnen. Vielleicht trifft die ICANN hier eine generelle Entscheidung, indem sie festlegt, dass Bewerbungen für die ausschließliche Eigennutzung, also Single-Use vorgesehen ist, umgewandelt oder abgelehnt werden.

Haben Sie den Eindruck, dass das Thema TLD-Vergabe in der Öffentlichkeit viel zu wenig beachtet wird?
In Deutschland wird das Thema Domainvergabe überhaupt nicht beachtet – erst recht nicht die Problematik der Top Level Domains. Es gibt vereinzelt Artikel darüber, doch viele Endverbraucher wissen noch überhaupt nicht, was da auf sie zukommt. In den USA hingegen gibt es eine lebhafte Diskussion von Fachleuten und Organisationen, die dazu Stellung nehmen, zum Beispiel die Authors Guild und der Verlegerverband AAP. Beide vertreten die Meinung, dass „.book“ nicht privatisiert werden darf.

Die EU hat angekündigt, die bisher in den USA angesiedelte Verwaltung des Internets auf internationale Füße zu stellen. Halten Sie diese Forderung für realistisch?
Das ist durchaus realistisch, die Frage ist nur, ob es auch positiv ist. Die ICANN ist ja von Regierungen unabhängig. Wenn jetzt eine internationale Übereinkunft nach dem Vorbild des UN-Telekommunikationsabkommens gefunden werden soll, dann sitzen auch China, Russland und der Iran mit am Tisch. Manche liberale Entscheidungen von ICANN würden dann nicht mehr so zustande kommen.

Welche Auswirkungen hätte es denn, wenn sich Amazon generische TLDs wie „.book“, „.author“ und „.read“ sicherte? Womit wäre ein solcher Vorgang vergleichbar?
Oswald: Man könnte das mit einem Weltmonopol vergleichen. Da Suchmaschinen auf Schlüsselwörter reagieren, würde jeder Anbieter, der über die Domainendung „.book“ verfügt, bevorzugt von den Suchmaschinen angezeigt werden. Und wenn die Fundstellen immer auf Amazon verweisen, dann ist das ein Wettbewerbsvorteil, den man kaum in Dollar aufwiegen kann. Zumal Amazon ja ein reines Internetunternehmen ist. Übrigens hat sich Amazon auch für „.author“ und „.read“ beworben. Es geht also auch um Begriffe im Umfeld von Büchern.

Die Expansion Amazons und die Verdrängung anderer Marktteilnehmer würde sich dadurch vermutlich potenzieren …
Es ginge auf jeden Fall zu Lasten der Konkurrenten – weshalb der US-Filialist Barnes & Noble auch schon eine Stellungnahme abgegeben hat – , aber auch zu Lasten des stationären Buchhandels, weil alle Chancen, mit E-Commerce-Geschäftsmodellen im Internet Fuß zu fassen, dadurch geschmälert würden, und weil die Marktanteile im Online-Geschäft ein weiteres Mal zugunsten von Amazon verschoben würden.

Sie hegen offensichtlich Sympathien für den lokalen Buchhandel …
Die Beratung des Kunden vor Ort ist durch nichts zu ersetzen. Dazu kommt noch eine weitere Gefahr: Durch die verlegerischen Aktivitäten von Amazon kommt es auch zu Verwerfungen für die traditionellen Buchverlage.

Wenn man sich das Gerangel um die TLDs anschaut: Sind wir Zeugen der Aufteilung von Zukunftsmärkten?
Amazon und weitere Unternehmen versuchen mit diesen Bewerbungen die Claims auf Zukunftsmärkten, aber auch auf gegenwärtigen Märkten, abzustecken.

Wie geht es nun weiter?
Sobald über die Berechtigung der Bewerbungen entschieden ist, lädt die ICANN zu einer Auktion ein, bei der die Top Level Domains meistbietend versteigert werden. Da ist dann neben Amazon auch Google dabei. Google hat allerdings eine Erklärung abgegeben, die man auch so auffassen kann, dass das Unternehmen die Domain „.book“ nicht für eigene Unternehmenszwecke nutzen will, sondern bestimmten Zielgruppen oder der Allgemeinheit zur Registrierung anbietet. Am Ende wird alles darauf hinauslaufen, dass das Unternehmen mit dem meisten Geld den Zuschlag erhält: und das hieße Amazon oder Google.

Interview: Michael Roesler-Graichen