Interview mit LCB-Chef Florian Höllerer

"Geballte Tradition im Rücken"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
"Die große Herausforderung bleibt immer, die introvertierte Seite des Hauses mit der extrovertierten zu vereinen", sagt Florian Höllerer, der seit 1. Januar das Literarische Colloquium Berlin (LCB) leitet. Welche Pläne er für das LCB hat, lesen Sie im Interview.

Welches ist Ihre früheste Erinnerung an das LCB?Tatsächlich habe ich vor allem früheste Erinnerungen an das Haus. Als Kinder wurden mein Bruder und ich häufig mitgenommen – Feste im Garten, der See, viel Trubel, viele andere Kinder. Als Jugendlicher war ich dann nur selten vor Ort, und selten auch nur im Literaturleben.

Ihr Vater hat das Haus 1963 begründet und berühmt gemacht. Ist das eher Hypothek oder Ansporn?Etwas eigenartig fühlt es sich schon an. Aber an meinen Vater denke ich gern und freue mich, etwas fortführen zu können. Gegenüber meinen dreizehn Jahren Literaturhaus Stuttgart ist das eine andere Situation: Dort die Neugründung eines Hauses, hier geballte Tradition im Rücken. Aber es fügt sich für mich gut, dass das 50-Jahre-Jubiläum gerade hinter uns liegt, und der Blick gestärkt nach vorne gehen kann. Wobei das LCB seinem Charakter gerade dadurch treu geblieben ist, dass es sich verändert hat. Da knüpfe ich direkt bei meinem Vorgänger Ulrich Janetzki an. Die große Herausforderung bleibt immer, die introvertierte Seite des Hauses mit der extrovertierten zu vereinen.

Wie meinen Sie das?Das Literarische Colloquium ist nicht nur Plattform, um Literatur zu präsentieren, sondern ein Ort, in dem Literatur tief verankert ist. Auf verschiedenen Wegen begleitet das Haus den Entstehungs­prozess von Büchern. Das hat Auswirkungen auf die Art und Weise, wie man am Wannsee auch öffentlich Gespräche führt: Ein Ort, der nicht nur zum Sprechen, sondern vor allem zum Denken veranlasst.

Welche Pläne haben Sie für das Haus?Ich begann mit einer Ausstellung zum französischen Comic-Künstler Jacques Tardi. Sie sehen, wie überraschend anders der Saal wirkt. Und so soll es kleine Ausstellungen, für das Haus etwas Neues, auch weiter geben. Ein anderes Beispiel ist der Garten, den wir mehr nutzen möchten. Für den Sommer ist etwa ein Treffen von Autoren und Songwritern geplant, mit drei Open Air-Konzerten. Außerdem wollen wir unsere vielfältigen Aktivitäten stärker aufeinander abstimmen. Das bedeutet zum Beispiel, dass Veranstaltungen, die an anderen Orten stattfinden, über unsere Internetportale rezipierbar sind. Unser nächstes Projekt in Alexandria bleibt so auch an das hiesige Publikum gebunden.

Ist die größte Herausforderung die, ausreichend Geldgeber zu finden?Ja, das gehört zur Arbeit. Ein großer Anteil unseres Budgets muss eingeworben werden. Aber das ist für mich nichts Neues. Schon in Stuttgart betraf das drei Viertel des Etats.

Das LCB konkurriert mit einer ganzen Reihe anderer Veranstaltungsorte in Berlin. Wie problematisch ist dabei die Randlage?In Bezug auf die Rolle als Begegnungsort ist die Kombination von See- und Bahnhofsblick absolut Zentrallage. Und selbst, wenn man rein geographisch denkt: Von Charlottenburg wie von Potsdam fährt die Bahn zehn Minuten, selbst vom Alexanderplatz keine halbe Stunde.

Für welche Autoren, welche Art von Literatur soll das LCB vor allem Bühne sein?Gute Literatur lässt sich natürlich nicht auf eine bestimmte Richtung festlegen – ganz abgesehen davon, dass das Abendprogramm nur ein kleiner Ausschnitt der Haus-Aktivitäten ist. Genau hier liegt aber auch eine Besonderheit unserer Bühne: Die Buchpremiere von Uljana Wolf und Sabine Scho vermengt sich mit der parallel stattfinden englisch-amerikanischen Übersetzerwerkstatt, der brasilianische Autor Teixeira Coelho, Stipendiat im Haus, interessiert sich für die Lesung des jungen Dorian Steinhoff, Julia Schoch wagt sich an den Tardi-Comic, Tilman Rammstedt an die Moderation von Brigitte Kronauer. So erhöht sich die Chance auf einen nicht wiederholbaren, strahlenden Abend, der es mit Kino und Theater, dem Fernsehsofa sowieso, aufnehmen kann.

Braucht die Präsentation von Literatur mehr Show oder genügen nach wie vor Mikrofon und Wasserglas?Mikrofon und Wasserglas genügen, Literatur kann das. Was nicht heißt, dass jeder Versuch, darüber hinaus zu gehen, scheitern muss. Die Wege zu einer gelungenen Lesung sind unübersichtlich. Ein Autor kann mit einer bis in den letzten Effekt ausgeklügelten Leseshow eine öde Situation heraufbeschwören; wohingegen ein Autor, für den schon Blickkontakt als Anbiederung ans Publikum ausscheidet, einen mitzureißen vermag. Genauso umgekehrt. Vom Theater kann man sich dennoch abschauen, professionelle Bühnentechnik nicht unterzubewerten.

 

Florian Höllerer, 1968 geboren, leitet seit 1. Januar das Literarische Colloquium in Berlin, das sein Vater, Walter Höllerer, 1963 ins Leben gerufen hat. Seine Mutter, die Fotografin Renate von Mangoldt, betreut bis heute ein Bildarchiv am LCB.