Die Stimmung in Augsburg

Weltbild-Mitarbeiter wollen Dampf machen

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Um 14 Uhr wird heute in Augsburg eine nicht-öffentliche Betriebsversammlung für Weltbild-Mitarbeiter stattfinden. Dort will der Betriebsrat zu den Hintergründen der Insolvenz informieren. Vorsitzender Peter Fitz ist sich sicher, dass die Belegschaft dann umgehend gemeinsame öffentliche Aktionen beschließen wird.
Viele Mitarbeiter hätten nachts nicht geschlafen, bangten um ihre Familien und diskutierten stundenlang, berichtet ver.di-Sekretär Thomas Gürlebeck. „Die Beschäftigten können nicht nachvollziehen, warum die Bischöfe gegen die Empfehlung von Aufsichtsrat und Banken handeln“, beschreibt Timm Boßmann, Betriebsgruppensprecher bei Weltbild, die Stimmung im Betrieb.

In ganz Augsburg ist Weltbild Gesprächsthema Nr.1, auch in den Buchhandlungen. Die Kunden stellen Zusammenhänge her zwischen dem Erstarken des Online-Buchhandels und dem Verschwinden von Buchläden, sie sprechen über Einkaufsverhalten. "Immer öfter wird jetzt die Erkenntnis ausgesprochen, dass die Stadt stationäre Läden braucht", resümiert Kurt Idrizovic von der Buchhandlung am Obstmarkt. Die Weltbild-Insolvenz wird auch in Bezug zu Amazon gesehen: „Der Online-Händler hat ja vor zwei Jahren in Graben im Landkreis Augsburg ein Logistikzentrum eröffnet, wo 1500 Mitarbeiter Arbeit gefunden haben.“ Um den stationären Handel in Augsburg ist Idrizovic nicht bange: „Seit einiger Zeit ziehen ältere Menschen wieder zurück in die Stadt, die zu uns in den Laden kommen. Deren neue Kaufkraft spüren wir merklich.“  

Derweil bemühen sich Politiker nach Kräften, Weltbild zu ihrem Thema zu machen. Nach dem Druckmaschinenhersteller Manroland und Walter Bau ist Weltbild in Augsburg innerhalb weniger Jahre die dritte große Insolvenz: „Bei Manroland haben zuletzt 1200 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren, wenn jetzt noch einmal 2200 dazukommen würden, wird sich das spürbar auf die Stadt auswirken, da hängen ja viele Familien dran“, resümiert Idrizovic. Entsprechend rasch hatte Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) bereits am Samstag zum Runden Tisch geladen, um "alle Kräfte aus der Wirtschaft in Augsburg und der Region zu bündeln und als Task Force an einen Tisch zu bringen". Und immer mehr SPD-Abgeordnete nehmen Gribl in die Zange. Scheingefechte, meint nicht nur Buchhändler Kurt Idrizovic: „Alle positionieren sich für die Wahl.“ Denn am 16. März wird in Bayerns Kommunen gewählt.

So hat auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer beim CSU-Neujahrsempfang im Augsburger Rathaus verbal Unterstützung zugesagt, er werde alles tun, was in seiner Macht stehe, um die Interessen der Beschäftigten und ihrer Familien zu sichern. Von "Bürgschaften bis Überbrückungen ist alles möglich", so Seehofer im Bayerischen Rundfunk, aber damit scheint er in der Kabinettssitzung am Montag allein dagestanden zu haben: Gleich danach widersprach im "Münchner Merkur" Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, die am Donnerstag mit Arbeitsministerin Emilia Müller mit betroffenen Mitarbeitern sprechen möchte: „Es werden hier definitiv keine Steuergelder für die Rettung eingesetzt.“ Bei der Klausurtagung der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth gestern beteuerte dann Aigner, dass es zwischen ihnen "keinen Dissens" gebe, auch Seehofer sah "keinen Widerspruch", wie heute in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen ist. Für die Rettung von Weltbild jedenfalls, so die Wirtschaftsministerin, "sehen wir den Staat nicht in der Pflicht".

In die Pflicht nehmen wollen alle am liebsten die kirchlichen Gesellschafter. Der SPD-Abgeordnete Herbert Woerlein etwa forderte den Augsburger Bischof Konrad Zdarsa in einem Offenen Brief auf, die Chance zu nutzen,“ sich als christlicher Arbeitgeber zu präsentieren, der mehr anbietet als Leistungen, zu denen er ohnehin rechtlich verpflichtet ist, und der sein Team in einer für den Betrieb überlebenswichtigen Phase voll unterstützt.“ Zdarsas Zusage, seine Diözese werde "gemeinsame Hilfsansätze solidarisch und auch materiell mittragen“, erscheint da vielen in Augsburg als zu schwammig. Dass es um immens hohe Summen geht, ist allen klar. „Aber wir reden hier über 14 Gesellschafter, die über einen Zeitraum von drei Jahren finanzieren sollten“, meint Betriebsgruppensprecher Timm Boßmann.“ Wenn Weltbild schließt, verlieren auch die beteiligten katholischen Banken ihre Ansprüche: Mehr als 100 Millionen durch Gewinnvorträge, 15 Millionen Grundkapital und zwölf Millionen Euro, die die Diözesen Bamberg, München, Würzburg und die Militärseelsorge als Darlehen gegeben hatten. Aus Boßmanns Sicht ein „Nullsummenspiel für die Kirche. Die MitarbeiterInnen und ihre Familien werden völlig sinnlos geopfert.“ „Das werden die Beschäftigten nicht einfach so hinnehmen“, erklärt Betriebsrats-Vorsitzender Peter Fitz. Auch wenn der Münchner Kardinal Marx das Dilemma der kirchlichen Anteilseigner benannt hat (Verantwortung für die Mitarbeiter contra Verantwortung für die Kirchensteuerzahler): Die Entscheidung zum Weltbild-Ausstieg bringt den Bischöfen in Augsburg gehörig Negativschlagzeilen.