Interview mit Autor Philip Ardagh

"Leben ist, was man daraus macht"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Mit Sprachwitz, schrägen Figuren und überraschenden Wendungen hat Philip Ardagh in „Familie Grunz hat Ärger“ brilliert, in Kürze erscheint der zweite Band. boersenblatt.net hat sich mit dem Autor und Literaturkritiker über sein Schreiben, seine Ideen und die Zusammenarbeit mit Illustrator Axel Scheffler unterhalten.

Sie haben sichtbar Lust an Sprachspielereien und -verwirrungen – greift da der gelernte Werbetexter Philip Ardagh auf seine früheren Erfahrungen zurück?
Ich war tatsächlich Werbetexter, bin aber einer geworden, eben weil ich schon immer eine Vorliebe für das Schreiben und für Sprache hatte. Schon als Kind habe ich alte Tagebücher und Papierfetzen mit Geschichten und Ideen angefüllt. Ich habe mir nie träumen lassen, dass ich meinen Lebensunterhalt als Autor bestreiten könnte (ich wusste nicht einmal, dass es so einen Beruf gab) und ich wollte kein Journalist werden, also endete ich in der Werbebranche. Es war allerdings ein guter Übungsplatz, um meine schriftstellerischen Fähigkeiten zu schulen.

 

Ist es auch ein Spiel, Informationen in „Familie Grunz“ zunächst einmal so scheinbar nebenbei zu arrangieren, dass der Leser („Moment mal“!) aufmerksam die Info-Bausteine zusammensetzt und dann mit Leselust die Zusammenhänge entschlüsselt?
Ich liebe die Idee, dass es in Geschichten nicht darum geht, Inhalte und Charaktere darzustellen, sonder darum, WIE man sie erzählt. Ich mag es, wenn der Autor – also ICH! – in der Geschichte präsent ist. Manchmal gefällt es mir den Leser zu überraschen (DAMIT habt ihr nicht gerechnet!) und manchmal mag ich es, wenn der Leser fühlt, dass er mich überholt hat („Ich WUSSTE, dass das passieren würde, Herr Ardagh!“). Je nachdem wie man eine Geschichte erzählt, können diese Reaktionen und Antworten mitgestaltet werden. Ich liebe es, MIT dem Leser zu arbeiten. Das Tolle an humorvollen Geschichten ist, dass man wirklich alles auf den Kopf stellen kann, wenn man es sorgfältig plant und konstruiert.

 

Sie arbeiten stark mit der Wirkung des auratischen Kreises: In der „Familie Grunz“ wendet sich der Erzähler kommentierend an die Leser. Wie viel Ardagh steckt in dieser Figur des Erzählers?
Der Erzähler bin durch und durch ich. Auch, wenn ich ihn für verschiedene Bücher immer anpasse, ist dies meine Erzählstimme und diese Stimme wendet sich an den Leser in einer etwas überlebensgroßen Version von mir (und dabei bin ich schon im echten Leben über zwei Meter groß).

 

Woher kommt Ihr Faible für schräge Figuren?
Ich liebe es, Kindern das letzte große Geheimnis über Erwachsene zu verraten: Nur weil wir erwachsen sind, bedeutet es nicht, dass wir die Welt komplett begreifen oder dass wir uns immer rational und sinnvoll verhalten. Erwachsene sind genauso unsicher, kleinlich, eifersüchtig und haben Missverständnisse wie Kinder … wir sehen nur größer und älter aus und tun so, als ob wir alles kontrollieren könnten! Meine erwachsenen Charaktere, wie die Grunzens, sind ganz einfach eine Übertreibung dessen. Die Idee von ausgeprägter Exzentrik habe ich zuerst in meinen Eddie-Dickens-Büchern erkundet, deshalb dachte ich mir, dass es jetzt an der Zeit wäre, eine eher raubeinige Sorte verrückter Leute anzugehen! Ich mag es, dass Herr und Frau Grunz trotz ihrer scheinbaren Grobheit zu einander immer noch so sehr in einander verliebt sind wie am Tag, als sie sich kennenlernten.

 

Das Buch vermittelt die Grundhaltung „Egal was passiert, das Leben geht weiter“ – gleichzeitig auch eine Empfehlung des Autors an die lesenden Kinder?
Leben ist, was man daraus macht. Zum Beispiel Sohnemanns Situation. Eine Sichtweise ist, dass er das Opfer einer Entführung ist! Er wurde von Herrn Grunz von einer Wäscheleine gestohlen und an Frau Grunz als Geschenk übergeben, aufgezogen in einem Campingwagen. Schock! Horror! Eine andere Sichtweise ist, dass sie ihn gerettet haben. Babys sollte man einfach nicht an den Ohren an einer Wäscheleine hängen lassen! Das Leben schmeißt uns die verschiedensten Sachen vor die Füße und wir machen daraus das Beste, was wir können. Liebe und Freundschaft sind der Kitt, der uns dabei hilft diese Dinge zu meistern.

 

Wie war die Zusammenarbeit mit Illustrator Axel Scheffler?
Die Arbeit mit Axel war wundervoll. Für meine Eddie-Dickens-Bücher habe ich dem wirklich tollen Illustrator David Roberts sehr genaue Angaben gemacht, was er zu zeichnen hatte und wir haben die Bilder lange besprochen. Axel habe ich einfach machen lassen. Ich bekomme die Bilder immer als Bleistiftzeichnungen und mache dann Korrekturvorschläge für faktische Fehler, falls es welche gibt –zum Beispiel: „Sohnemann sollte hier keine Schuhe tragen“ – ansonsten lasse ich Axel die Grunzens auf SEINE Weise interpretieren. So bekommt der Leser sowohl meine wie auch Axels Sicht der Dinge. Zwei zum Preis von einem! Es hilft, dass Axel ein sehr netter Mensch ist, der mich zum Lachen bringt.

 

Sie besprechen regelmäßig Kinderbücher im „Guardian“. Schärft Ihre Rolle als Kritiker das eigene Schreiben – und steigen die Ansprüche an Sie als Autor?
Das Beste am Literaturkritiker-Dasein ist, dass es mich zwingt Bücher zu lesen, die ich sonst nicht lesen würde. Ich arbeite ständig an vielen Projekten mit Fristen und komme daher nicht so viel zum Lesen, wie ich es mir wünschte. Buchkritiken zu schreiben bedeutet, dass ich Zeiträume schaffen muss, in denen ich lesen kann. In meinem Stil schreibe ich, weil ich so schreiben muss. Ich meine müssen nicht in dem Sinn, dass man mich zwingen würde so zu schreiben, sondern in dem Sinn, dass dies meine Erzählstimme ist… sie ist so in mir und kommt auf’s Papier, wenn ich schreibe. Ich habe schon viele wundervolle Bücher gelesen, die ich nicht schreiben könnte, selbst wenn ich es versuchen würde. Und wenn, würden sie auf MEINE Weise geschrieben sein.
Was ich feststellen konnte, ist, dass es sehr selten vorkommt, dass selbst die besten Bücher nicht doch irgendeine Schwäche haben und dass Ton und Tempo entscheidend sind. Meine Arbeit als Literaturkritiker macht mir außerdem klar, was für ein Glück ich habe. Ich werde dafür bezahlt, Geschichten zu erzählen: dafür, dass ich die Abenteuer in meinem Kopf zu Papier bringe und mit einer breiten Leserschaft teile. Das muss doch bestimmt der beste Beruf auf der Welt sein?

 

Welches Figurenarsenal erwartet uns im zweiten Band der "Familie Grunz"?
Da treffen wir, zusätzlich zu den bekannten Lieblingen wie die Esel Klipp und Klapp und Finger, den Elefanten, eine ganze Reihe neuer Charaktere: einen geheimnisvollen Mann im Dunklen, einen unglaublich guten Rollstuhlturner, der die Geschwindigkeit liebt, egal ob in der Luft oder am Boden, ein Mann, der entweder unglaublich unverschämt oder unglaublich ehrlich ist, ein Pärchen, das nichts Gutes im Sinn hat und das einen falschen Schnurrbart zwischen sich zu teilen scheint, und einen Mann in einer Tonne. Er trägt sie über seinen Kopf gestülpt, seine Füße ragen unten heraus und seine Arme durch Löcher an den Seiten. Sie wissen schon: die ganz typischen, ganz normalen Leute eben …