Starren auf die Amazon-Schlange

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Die Krise des Sortiments ist auch eine hausgemachte. Trotz Amazonisierung hat der Buchhandel gute Zukunftschancen - wenn sich der von den Filialisten gelegte Sturm einmal gelegt hat. Meint Dieter Dausien, Inhaber des Buchladens am Freiheitsplatz,  Hanau.
Das Geschäft mit Büchern wandert ab ins Web« – »Alles strebt in Richtung Amazon?« – Sätze wie diese gehören zum täglichen Mantra der Branchenpresse. Zweifellos wird hier ein Megatrend beschrieben, der den stationären (Buch-)Handel zu Recht nicht ruhen lässt. Doch ist das Starren auf die Schlange Amazon angemessen? Ist der Drang zum Welt-Onlinekaufhaus die ganze Erklärung für das zu beklagende oder auch noch bevorstehende Aus für viele Buchhandlungen? Ich denke, in unserer Branche wird ein verhängnisvoll monokausaler und deshalb lähmender Zusammenhang hergestellt zwischen Amazon und dem sogenannten Buchhandelssterben.

Zunächst einmal: Ein starker Anbieter generiert immer auch selbst Nachfrage. Nicht jedes Buch, das Amazon verkauft hat, wäre im stationären Handel gekauft worden. Das ist für das Buch an sich noch nicht schlecht. Aber: Keine Frage, Amazon ist schlecht für den stationären Buchhandel.

Schließungen hätten allerdings auch ohne den Internetriesen stattgefunden: durch die hemmungslose und teils irrationale Expansionswut der großen Player Thalia und DBH, mit der Mayer’schen im Gefolge. Diese haben mit ihrem Wachstum bereits zu einer Zeit, als Amazon noch nicht die heutige Stärke erreicht hatte, die Buchhandelsstruktur nachhaltig geschädigt. Einige Kollegen schlossen ihre Läden kurz nachdem der eine oder andere, oder gar beide, sich in ihrer Stadt breit gemacht hatten. Andere folgten Jahre später, folgen noch heute. Auf welche Buchhandelswelt trafen die Expansionisten denn Ende der 90er? Ich nehme mal den Mikrokosmos Hanau, in dem ich die Entwicklung seit 40 Jahren verfolge, als pars pro toto: Als mein Vater 1974 seine Buchhandlung nach Hanau verlegte, gab es hier genau zwei Sortimente. In den umliegenden Gemeinden – kein einziges. In den folgenden zwei Jahrzehnten änderte sich das Bild grundlegend: Zehn Buchhandlungen eröffneten in acht Orten, alle weniger als zehn Kilometer von Hanau entfernt, dazu zwei in Stadtteilen und eine WeltbildPlus-Filiale in der City. Eine Atomisierung der Handelsstruktur, die gut ist für die Literaturversorgung, aber weniger gut für die betriebswirtschaftliche Situa­tion der Einzelnen. Auf diese Situation traf 2008 Thalia mit
einer 1 100-Quadratmeter-Neu­eröffnung in Hanau und verdreifachte (!) so die Buchhandelsfläche der Stadt.

Die vergangene Eröffnungswelle der Filialisten zeigte, dass der Kapitalismus bisweilen zu Entscheidungen führt, die aus Wettbewerbsgründen nachvollziehbar, gesamtwirtschaftlich jedoch irrational sind. Und da das System für diesen Fall kein Korrektiv vorgesehen hat, blieb nur das des Marktes. Jenes fiel zuerst den Kleineren auf die Füße. Man muss Herrn Busch und den Hugendubels keinen Vorwurf machen, um festzustellen, dass ihr Handeln wenig vorausschauend, zum Teil verheerend war: Nicht nur sie selbst verbrannten jede Menge Geld, sondern sie rissen gleich einen Teil der klein- und kleinstteiligen Buchhandelswelt mit sich.

Klar hat die Amazonisierung der Einkaufswelt das Ihrige dazu beigetragen, und es ist ein schwacher Trost, dass dies nun auch die großen Muskelprotze trifft. Aber die Krise des Buchhandels ist auch ein branchenimmanentes Phänomen. In dieser bitteren Erkenntnis steckt aber auch eine gute Nachricht: Das Starren auf die Schlange ist falsch, die Analyse Online gleich Ladensterben greift zu kurz, der Buchhandel ist nicht dem Amazon-Tod geweiht, sondern leidet noch immer unter dem Expansionssturm der Filialisten. Wenn dieser sich gelegt hat und die Buchhandelsfläche wieder auf ein realistisches Maß geschrumpft ist, wird es auch wieder genügend Chancen für den unabhängigen Buchhandel geben. Er bietet seinen Kunden (inklusive Internetauftritt), was ein reiner Onlineshop nicht kann. Da eröffnen sich Chancen für Überlebende und ambitionierte Neugründer. Das nützt den Kollegen, die jetzt schließen müssen zwar nichts mehr, bedeutet aber, dass das Ende des stationären Handels noch lange nicht gekommen ist.