Buchjournal-Talk

Orpheus liest sich hinab in die Unterwelt

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Noch fehle ihr leider die entscheidende Idee für die Fortsetzung ihres gerade mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Romans „Das Ungeheuer“, verrät die Schriftstellerin Terézia Mora im Gespräch mit Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck beim Buchjournal-Talk im Lesezelt. Sie baue aber darauf, dass Sigrid Löffler ihr aushelfe.

Viel Zeit zum Feiern hatte Terézia Mora, die diesjährige Gewinnerin des Deutschen Buchpreises bisher nicht. Auf den Fluren und Podien der Frankfurter Buchmesse ist die Schriftstellerin, die am Montag für ihren 700-Seiten Roman „Das Ungeheuer“ ausgezeichnet wurde, sehr gefragt. Im Lesezelt erklärt sie Börsenblatt-Redakteur Stefan Hauck, warum ihr Buch um den IT-Spezialisten Darius Kopp schon optisch sehr heraussticht und vielleicht auch dazu angetan ist, den einen oder anderen Leser zu verwirren. Über die ersten drei Kapitel hinweg ist lediglich die obere Hälfte der Buchseite beschrieben, so dass das Buch zu einem sehr speziellen Fall von „Pageturner“ wird, wie die Autorin scherzt, die trotz der Strapazen und Turbulenzen der letzten Woche so gar nicht müde, sondern ausgeschlafen und sehr streitbar wirkt.

Ab dem vierten Kapitel des komplexen und von der Buchpreis-Jury für sein „hohes literarisches Formbewusstsein“ gerühmten Romans erzählt die obere Hälfte jeder Buchseite von Darius Kopps unruhiger Fahrt durch Osteuropa, während die untere Hälfte Tagebuchnotizen seiner gerade verstorbenen Frau Flora wiedergibt. Darius, der schmerzerfüllte Witwer ist, so die Autorin, ein moderner Orpheus, der, indem er die nachgelassenen Notate seiner Frau liest, immer wieder in die Unterwelt hinabsteigt, um nach seiner toten Liebsten zu suchen, ihr zu begegnen.

Auf seinen Wegen zwischen Ober- und Unterwelt, zwischen der oberen Hälfte der Seite und der unteren, begleitet ihn gelegentlich schon etwas außer Atem der Leser. Wen soviel Formwagnis verschreckt, sollte allerdings besser die Finger von diesem Roman lassen. Geschrieben sei er für diejenigen Leser, die „diesen Formschock verwinden können“, sagt die Autorin resolut.

Das Buch ist die Fortsetzung von „Der einzige Mann auf dem Kontinent“, mit dem die in Ungarn geborene Mora schon 2009 auf der Longlist zum Buchpreis stand. Angedacht ist auch schon ein dritter Teil, der die Trilogie voll machen soll. Noch fehle allerdings die entscheidende Idee, die diesen dritten Teil klar von den beiden ersten abgrenze, gesteht die Autorin. Gleich zwei Journalisten, darunter Sigrid Löffler, hätten sie in dieser Frage gestern allerdings sehr beruhigt. Beide hatten sie ihr versichert, sie wüssten längst, wie es weitergehen müsse. Und falls die erhoffte Inspiration sich auch weiterhin nicht einstellen wolle, erklärt Terézia Mora mit einem Augenzwinkern, komme sie gern auf das Angebot der beiden zurück, ihr mit einer zündenden Idee auszuhelfen.