Diskussion im Kinderbuch-Forum über Nachwuchsautoren

"Riesengroße Welle der Epigonen"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
"Wo ist der Nachwuchs - und sind junge Autoren chancenlos?“ Diesen Fragen spürte heute Nachmittag im Kinderbuch-Forum auf der Frankfurter Buchmesse Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir in einer Runde mit Autoren, Verlegern und Agenten nach. Auch wenn der Bedarf an Nachwuchsautoren groß ist - es gibt so viele Aber ...

„Durch das Internet ist bei den Nachwuchsautoren schon ein enormes Vorwissen da, sie schicken recht selbstbewusst ihre Manuskripte“, konstatierte Literaturagent Thomas Montasser. Junge Autoren hätten durchaus eine Chance: „Ein 15-Jähriger, der gut schreiben kann, hat bessere Chancen als ein 25-Jähriger, der Reiz liegt in der Entdeckung besonders junger Talente – dabei vergessen wir, dass auch ein Thomas Mann die 'Buddenbrooks' im Alter von 21 bis 25 Jahren geschrieben hat.“ Agenten, fügte er schmunzelnd hinzu, neigten nun einmal auch dazu, Nachschub haben zu wollen, „und zum Glück gibt es Nachwuchs genug.“

Unverlangte Manuskripte und ein großer Bedarf an Nachwuchsautoren

Auf die Anzahl der unverlangt eingesendeten Manuskripte wies Ulrike Metzger hin, Programmleiterin für das Kinder- und Jugendbuchprogramm der S.Fischer Verlage: „Die Zahl ist unverändert groß, wir gucken die Manuskripte  auch wirklich alle an, weil jeder Verleger, jeder Lektor davon träumt, neue Talente zu entdecken. Mir ist es glücklicherweise dreimal passiert, dass ich dabei wirklich große Entdeckungen gemacht habe.“ Lektoren suchten „händeringend“ nach neuen Autoren, die Anzahl der Buchveröffentlichungen steige, „da gibt es folgerichtig einen Bedarf. Gleichzeitig schreiben auch immer mehr Menschen und wollen ihre Texte veröffentlicht sehen - aber die Qualität reicht meistens eben doch nicht so.“

Bestsellerautor Kai Meyer, dessen erstes Buch vor genau 20 Jahren erschienen ist, ist noch durch die Heftroman-Schule gegangen: „Ich habe erst mal Jerry-Cotton-Romane geschrieben und der Verlag wusste dann, der Meyer kann irgendwie schreiben, und hat sich mit mir über mein erstes Exposé unterhalten.“ Seinen Beobachtungen zufolge müsse man heute „trennen zwischen denen, die gerne Schriftsteller sein wollen, aber gar nicht so große Lust zum Schreiben haben, und denen, die unbedingt schreiben wollen, denen es Lebensinhalt ist.“  Es sei jedoch schwieriger geworden, heute einen Verlag zu finden, der einen jungen Autor nach dem ersten Buch weiter unterstütze, wenn sich das erste Buch nur 1000- bis 2000-mal verkauft habe. Der junge Autor Oliver Scherz wies auf die existenziellen Notwendigkeit des Geldverdienens durch Schreiben hin – auch wenn ein Verlag keineswegs verpflichtet sei, weitere Buchprojekte gemeinsam mit ihm zu machen, sei es doch wichtig, ihm Perspektiven zu eröffnen.

Zwischen Existenzsicherung und Erfolgsdruck

Wie schwierig ist es denn heute sei, das eine, beglückende Manuskript zu finden? wollte Casimir von der Runde wissen. „Die Wege zu kennen, heißt noch nicht zum Ziel zu kommen“, meinte Montasser, der Metzger widersprach: „Ich mache nicht die Erfahrung, dass alle Verlage die unverlangten Manuskripte lesen, schon ganz einfach deshalb nicht, weil die Personaldecke zu dünn und die Zeit viel zu knapp ist und oft nur Praktikanten hineinlesen.“ Früher habe man drei, vier, fünf „Schüsse“ gehabt, bis man einen wirklichen Bestseller gelandet habe, heute gebe man Autoren schneller auf. Nur seien viele junge Autoren aber auch nicht diszipliniert genug, nach dem letzten Buch gleich mit dem nächsten Buch weiter zu schreiben, entgegnete Meyer. „Bei mir hat es gut zwei Jahre gedauert, bis ich davon leben konnte - und ich habe sehr viel geschrieben. Heute kriege ich oft mit, dass Autoren erst mal schauen, ob das Buch überhaupt läuft."

Das sei doch meist eher die Argumentation des Verlags, widersprach auch hier Montasser: „Der will meistens erst mal abwarten, wie sich das Buch verkauft.“ Der junge Autor, der viel schreibe, habe denn auch das Problem, dass der Verlag das nächste Buch gar nicht so rasch veröffentlicht haben will, dass es dem Verlag gar nicht gefallen müsse usw. „Nur muss der Schriftsteller eben auch von seinem Schreiben leben.“ Die wenigsten Autoren könnten vom Schreiben allein leben, der Satz, dass der Autor noch andere Standbeine braucht, sei unverändert wahr, meinte Oliver Scherz. „Ich schreibe aber vor allem ein Buch, wenn in mir ein Thema ist, über das ich gerne schreiben möchte. Schreiben ist für viele uns Passion.“ Entscheidend sei die Kreativität des Autors, schob Metzger nach; Geschichten, „die am Reißbrett entstanden sind, sind ja nur selten große Erfolge“, meinte Montasser.

Epigonale Geschichten und Erzählstile

„Schauen Verlage nicht zu sehr auf das kalkulierte, risikoarme Buch?“, fragte Casimir die Podiumsrunde. „Es ist ja nicht so, dass die genialen originellen Geschichten bergeweise mit der Post kommen“, entgegnete Literaturagent Montasser, „nein, es kommen bergeweise Fantasy-Epen, am liebsten in Trilogien.“ Von Verlagsseite bestätigte Ulrike Metzger den Trend: „Wir Verlage sehen uns einer riesengroßen Welle epigonalen Schreibens ausgesetzt - das hat den Autoren kein Verlag eingeflüstert, die Motivation kommt woanders her. Wir suchen aber nach neuen Themen und Schreibstilen. Sicher suchen wir auch nach Risikominimierung, wenn wir das Geheimrezept hätten, würden wir nur noch Bestseller machen.“ Bestsellerautor Kai Meyer wollte das epigonale Schreiben gar nicht verdammen, „ich habe mit 15 auch eine Herr-der-Ringe-Geschichte geschrieben – nur hab ich sie nicht an irgendeinen Verlag geschickt.“ Heute sei die Präsenz dieser ersten Schreibfrüchte viel größer, sie würden einfach munter in die Welt gesetzt.

In der angeregten Bestsellerdiskussion wies Montasser noch einmal auf die Hintergrundakteure hin: „Der Erfolg hat ja nicht nur den Autor als Vater, da steckt meist ein Team dahinter - der Lektor, der Hersteller, der Marketingchef, der Buchhändler, das darf man nicht vergessen.

Lieber US-Lizenzen als deutsche Autoren aufbauen

Casimirs Frage, ob es den Texten denn heute an Qualität fehle? spaltete die Zuhörer naturgemäß in zwei Lager. Kai Meyer betonte noch einmal die Solidität beim Schreiben, „das Handwerkliche wird vielleicht nicht in einer Villa mit Park in Rom entstehen, es gibt hier immer noch so eine diffuse Vorstellung, dass den Autor die Muse küsst.“ Auch wenn Stipendien durchaus helfen würden: „Es hilft letztlich nur, viel zu schreiben.“ Scherz machte deutlich, dass er sich über ein Stipendium freuen würde, „es würde einfach für kurze Zeit meine Existenz sichern, während ich weiter schreiben kann“.

Montasser wies auf die Entwicklung im Kinder- und Jugendbuchmarkt hin: „Früher gab es weniger Bücher pro Lektor, heut gibt es zu viele.“ Das sei auch mit ein Grund, „warum wir nicht zu viele Autoren betreuen“. Im Publikum berichtete Kritiker Ralf Schweikart, langjähriges Jurymitglied u.a. beim Oldenburger Jugendliteraturpreis, von den Erfahrungen, dass sich die Verlage nicht sonderlich für die Nominierungsliste bereits geprüfter Manuskripte interessieren, - „ebenso wie häufig lieber amerikanische Lizenzen eingekauft werden als dass man deutsche Autoren aufbaut.“ „Wenn ich eine Lizenz kaufe, weiß ich genau, dass sie fertig lektoriert ist, das spart uns Zeit und Arbeit, die wir an anderer Stelle reinstecken“, konterte Ulrike Metzger. Widerspruch auch bei Kai Meyer, der von einer sehr guten Autorenbetreuung durch Verlage zu berichten wusste. Das sei bei einem Bestsellerautoren wie Meyer eben anders, es gebe immer bestens betreute Autoren und hervorragende Lektoren, gewiss, sagte Montasser, „aber der Betrieb lässt seit etwa acht Jahren eine intensivere Betreuung der Autoren gar nicht mehr zu, weil einfach die Ressourcen fehlen.“