Eröffnung der Frankfurter Buchmesse

Brasilien ist nicht nur Wirtschaftswunderland

20. Juli 2015
von Andrea Pollmeier
Selten sind schon auf der Eröffnungsfeier der Frankfurter Buchmesse so selbstkritische Worte gesprochen worden. Luiz Ruffato, brasilianischer Autor und neben Ana Maria Machado literarischer Festredner des Ehrengastlandes, machte bereits in den ersten Sätzen seiner Rede deutlich: Brasilien ist nicht nur Wirtschaftswunderland.

"Wir sind unter der Ägide des Genozids geboren“, erinnert Luiz Ruffato die Festgäste. Zwar werde Rassendemokratie stets als Merkmal brasilianischer Toleranz angeführt, doch  sei dies ein Mythos. „Wenn wir heute ein Land von Mestizen sind, so ist dies Resultat einer Kreuzung zwischen europäischen Männern mit indianischen oder afrikanischen  Frauen,  genauer gesagt: Die Assimilierung geschah über die Vergewaltigung von Ureinwohnerinnen und Afrikanerinnen durch weiße Kolonisatoren.“  Die Folgen dieser Geschichte zeigte sich bis heute in der hohen Gewaltrate und mangelhafter Bildung afrikanischstämmiger Brasilianer.

Unerwartet optimistisch schließt Ruffato, der selbst als Sohn einer Waschfrau und eines Popcornverkäufers  in einer von Analphabetentum geprägten Umgebung aufwuchs, seine Rede: „ Mein Leben wurde durch den zufälligen Kontakt mit Büchern verändert, wenn Literatur also einen Menschen verändern kann und eine Gesellschaft aus Menschen besteht, dann kann Literatur auch eine Gesellschaft verändern.“ 
Diese zentrale Bedeutung der Buchkultur sieht Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins, durch Digitalisierung und Globalisierung gefährdet.  Zum Schutz einer Kultur des Wissens habe man einst die Buchpreisbindung geschaffen. Honnefelder warnt davor, diese im Rahmen der anstehenden Freihandelsverhandlungen der EU-Kommission mit den USA zu opfern. Dann „steht die anonyme, ganz und gar manipulierbare Macht des Geldes über den Geist an. Das Ende des stationären Buchhandlung wäre eingeläutet.“
Auch Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, sieht in den digitalen Großunternehmen vor allem „Kundenbindungsmaschinen und Logistikzauberer“, denen es an verlegerischer Leidenschaft fehle. Dem „Amazon-Algorithmus“ möchte er  eine wirkmächtige Bestellformel für Unerhörtes und nie Dagewesenes entgegensetzen. Zu den politischen Gästen der Eröffnungsfeier gehörten neben Außenminister Guido Westerwelle (FDP) auch der brasilianische Vizepräsident Michel Temer, sowie Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD).
In seiner Rede hob Guido Westerwelle die zwischen Brasilien und Deutschland bestehende gemeinsame Wertebasis hervor. Dies zeige sich auch bei den angestrebten Reformen der Vereinten Nationen. Die gegenwärtige Sitzverteilung, die u.a. für Lateinamerika keinen Sitz vorsehe, spiegle weder die Welt von heute noch die Welt von morgen wider, dies gelte es zu ändern. Hier ziehen beide Länder, so der Außenminister, an einem Strang. In den kommenden Tagen dürfte dies auf vielschichtige Weise deutlich werden.