Trauerfeier mit Bundespräsident und Gottschalk

Abschied von Marcel Reich-Ranicki

20. Juli 2015
von Börsenblatt
In Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck nahmen mehrere hundert Menschen am heutigen Donnerstag Abschied von Marcel Reich-Ranicki. Auch Fernseh-Entertainer Thomas Gottschalk war gekommen und sprach zu der Trauergemeinde auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt.

Auf der Trauerfeier für den vergangene Woche gestorbenen Literaturkritiker hielten Freunde, publizistische Weggefährten und politische Prominenz die Erinnerung wach an einen Mann, der das kulturelle Leben in Deutschland über fünf Jahrzehnte geprägt hat.

Der Punkt sei ja: "Er hätte auch diese Veranstaltung rezensiert." Immer habe er Trauerfeiern rezensiert, sagte der FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher über den langjährigen Literaturchef der Zeitung. Viele Polizeiautos vor dem Friedhof - schon mal ein gutes Zeichen für das Wirken des Verstorbenen zu Lebzeiten. MRR (so das seit vielen Jahren gebräuchliche Kürzel für den Kritiker) wäre mit der Veranstaltung "ganz zufrieden gewesen", vermutete Schirrmacher. Der Publizist, der Reich-Ranicki 1989 als Leiter der FAZ-Literaturredaktion nachgefolgt war, setzte Zuversicht gegen die Endgültigkeit des Abschiednehmens und sagte, die Stimme des Verstorbenen werde unvergesslich bleiben und auch künftig "überall dort zu hören sein, wo Literatur ist".

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bemerkte, MRR habe stets "die Freiheit gehabt, auch nein sagen zu können". Er nannte den 1920 in Polen geborenen und seit Ende der 50er Jahre in Frankfurt lebenden Kritiker einen aufrechten und unbeugsamen Menschen und gerade in diesen Eigenschaften "vielen eine Inspiration". Die frühere Oberbürgermeisterin Frankfurts, Petra Roth, erinnerte sich an MRR als einen "mir unschätzbar wertvollen Ratgeber". Er habe sie oft gelehrt: "Kultur ist Intellekt und Emotion zugleich."

Einen sehr persönlichen Rückblick auf seine Freundschaft zu MRR und dessen vor zwei Jahren gestorbene Frau Tosia gab Salomon Korn. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main kam dabei auch auf das bisweilen schroffe, zuspitzende, leidenschaftliche Urteilen des Literaturkritikers zu sprechen. Diese Art, die MRR durchaus Kritiker und Feinde eingetragen hat, sei vielleicht als Folge eines stillen, frühen und unbewussten Entschlusses zu begreifen: "nie wieder Schwäche zeigen, nie wieder Machtlosigkeit". Als Überlebende des Warschauer Ghettos, deren Familien von den Nazis ermordet worden waren, hatten sich MRR und seine Frau gleichwohl zu einem Leben in Deutschland entschieden. Ihre Hochzeitstage allerdings, so Korn, habe das Ehepaar immer außerhalb Deutschlands verbracht.

Mit Bezug auf die zahlreich erschienene Prominenz bemerkte die Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander, es sei "heute wie zu seinen Lebzeiten: Um diesen Mann herrschte immer Wirbel". MRR habe von möglichen Optionen die eine gewählt: "das Gute an Deutschland herauszustellen - Goethe und Schiller, Mozart und Beethoven". Reich-Ranickis "portatives Vaterland" (Heinrich Heine) sei eben die deutsche Literatur und die deutsche Musik gewesen, erklärte Salamander, die in wenigen Tagen als Leiterin des neu gegründeten FAZ-Literaturforums ihre Arbeit aufnehmen und auch den Juryvorsitz für den ebenfalls neuen "Marcel-Reich-Ranicki-Preis für literarische Kritik" innehaben wird.

Als Schlussredner der Trauerfeier war der Fernseh-Entertainer Thomas Gottschalk gekommen. Zwischen ihm und MRR hatte sich im Herbst 2008 eine späte Freundschaft entwickelt, nachdem Reich-Ranicki bei der Verleihung des von Gottschalk moderierten Deutschen Fernsehpreises die Annahme des Ehrenpreises verweigert und so zunächst für einen Eklat gesorgt hatte. Gottschalk erinnerte an die damaligen Vorgänge; auch an die Bereitschaft MRRs, sich an seiner Seite immer wieder "ohne intellektuelle Arroganz, aber mit einer fast kindlichen Freude dem sinnlosen Treiben" der Unterhaltungsshows zu ergeben.

Zum Schluss sagte Gottschalk am Sarg Marcel Reich-Ranickis: "Nun versuche ich es ein zweites Mal und überreiche dir, Marcel, einen Lebenspreis. Und keiner bedauert es mehr als ich, dass du ihn diesmal nicht mehr ablehnen kannst."