Interview mit Jan Philipp Reemtsma

"Buchhändler brauchen eine ungeheure Menschenkenntnis"

27. Februar 2015
von Börsenblatt
Der Handel mit Büchern hat Zukunft: Ein Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma, Autor, Verleger und Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung, der seit diesem Jahr auch dem die Bundesregierung beratenden Wissenschaftsrat angehört.
Seit 20 Jahren gibt es die Hamburger Edition, seit einem Jahr schreiben Sie in den Vorschauen die Editorials, die vom Aufzählen der Ware abweichen. Man hat den Eindruck, diese kleinen Texte machen Ihnen sichtlich Spaß …
Reemtsma: Ja, aber je kleiner der Text, desto aufwendiger die Arbeit … Unsere Lektorin Sabine Lammers kam auf die Idee und wollte das Editorial nicht als Wiederholung der späteren Warenpräsentation nutzen, wie das viele Vorschaueditorials tun; und dann wurde daraus ein  Auftakttext – das kann alles Mögliche sein, aber um Bücher und Lesen soll es gehen.

Hat der Buchhandel in Ihren Augen noch Zukunft?
Reemtsma: Aber ja, wieso denn nicht. Es braucht Buchhändlerinnen und Buchhändler, es braucht den persönlichen Kontakt. Ich habe immer mit der Literatur gelebt, es geht gar nicht ohne; und ich bin bis heute in gutem Kontakt mit Buchhändlern, die diese Tätigkeit ernst nehmen, die mir Ratgeber sind. Ich bin in Hamburg zum Beispiel oft zu einem alteingesessenen Buchhändler gegangen, der inzwischen aus Altersgründen verkauft hat, und habe immer bewundert, wie er den richtigen Lesestoff empfiehlt. Da kommt jemand in den Laden, sagt, er sucht ein Buch für einen Jungen, 14 Jahre alt, der konfirmiert wird … Der Buchhändler fragt, nähert sich dem Kunden an – Buchhändler brauchen eine ungeheure Menschenkenntnis. Aber er wusste auch so zu beraten: „Da gab es so ein Boulevardstück, frühes 19. Jahrhundert, ich weiß nicht, wird manchmal im Fernsehen gespielt, ich glaube XYZ war dabei…“ und er wusste Bescheid. Und seine Nachfolgerinnen – die können das auch.

Wie stark beeinflusst die Arbeit des Instituts für Sozialforschung Ihre Arbeit als Verleger?
Reemtsma: Ich sehe mich gar nicht als Verleger. Das Institut für Sozialforschung führt Forschungsarbeiten durch oder vergibt sie, sie werden fertig und es sollte einen Verlag geben, in dem sie dann als Bücher erscheinen. Zunächst einmal sind die ersten Titel bei Junius und Beltz erschienen, bis ich vor fast 20 Jahren die Hamburger Edition gegründet habe. Dort erscheinen die Forschungsergebnisse des Instituts, aber auch Lizenzausgaben, also Übersetzungen, die zu der Arbeit des Instituts passen. Wie bei wissenschaftlichen Publikationen üblich, sind es fast immer Titel, die subventioniert werden müssten.

Die Wirtschaftlichkeit der Titel ist also nicht oberstes Gebot?
Reemtsma: Kann es nicht sein. Denn dann müsste ja die Subvention einiger Titel durch eine Mischkalkulation erwirtschaftet werden. Dann wäre die Hamburger Edition ein „klassischer“ Verlag. Aber er ist der Verlag einer wissenschaftlichen Einrichtung und eine gemeinnützige GmbH mit einem klaren jährlich festgeschrieben Rahmen.

Es gibt ja auch eine hedonistische Ebene des Geldverdienens … fehlt die hier?
Reemtsma: Die hedonistische Seite liegt in der Aufmerksamkeit, die das Buch erregt – in der Fachöffentlichkeit, die zuweilen mit kargerem Mitteleinsatz auch erreichbar wäre. Da ist es wie anderswo auch: ein gutes Lektorat (die Hamburger Edition hat noch eins, anderswo ist so etwas zuweilen schmerzlich zu vermissen), die Optik, die Präsentation, die Versuche, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Wichtig ist, dass die Titel Anlass zu Gesprächen in verschiedenen Medien werden, dass sie zu wirken beginnen. Da ist Jürgen Determann, der Verantwortliche für die Pressearbeit in der Edition, umsichtig und ausgesprochen erfolgreich.

Wer entscheidet denn über die Titel?
Reemtsma: Der Publikationsbeirat, ein effektives sechsköpfiges Team aus Institutsmitarbeitern und Externen. Die Verlagsleiterin Birgit Otte hat die verschiedenen Interessensgebiete des Instituts im Blick und sondiert; für jeden geplanten Titel werden Fachgutachten aus dem Haus und von außen eingeholt, und dann wird diskutiert und entschieden.

Haben Sie als Leiter des Instituts ein Vetorecht?
Reemtsma: Ja, aber ich habe es noch nie ausgeübt. Ich habe im Publikationsbeirat eine Stimme und bin auch schon überstimmt worden.

Und es gibt nicht die Möglichkeit, ein absolutes »Herzensbuch«, wie Klaus Wagenbach es nennt, im Alleingang zu verlegen?
Reemtsma: "Herzensbuch" wäre nicht meine Vokabel. Es ist schon einmal ein Buch auf große Skepsis gestoßen, aber ich habe die anderen überzeugt – oder überredet oder entnervt.

Und wenn im Publikationsbeirat in einem Jahr gleich viele wichtige Titel positiv beschieden werden, der Blick auf den Etat die Produktion aber nicht zulässt?
Reemtsma: Die Planung des Programms liegt in den Händen der Verlagsleitung, die in Absprache mit den Autorinnen und Autoren die Erscheinungstermine festlegt. Und wenn ein Titel aus Aktualitätsgründen rasch erscheinen sollte, muss das Programm erweitert oder ein anderer Titel verschoben werden.

Schon Wieland hatte mit Raubdrucken zu kämpfen – wie sehen Sie die aktuelle Debatte ums Urheberrecht, gerade wenn es um Internetpiraterie, um das Kopieren von E-Books usw. geht?
Reemtsma: Die Debatte um das Urheberrecht wiederholt sich seit dem 18. Jahrhundert und interessanterweise gibt es immer neue Techniken, neue Vertriebsmärkte und so weiter, die sie wieder aufleben lassen, aber keine neuen Argumente. Eine charmante Position hat Kant bezogen: »Ich erlaube jemanden, meine Gedanken zu veröffentlichen«, und in diese gleichsam intime Beziehung dürfe keiner einbrechen. Auch wenn man das nicht ganz so eheähnlich sieht, richtet sich die allgemeine Rechtsauffassung doch nach dieser Maxime: es ist eine besondere, schützenswerte Rechtsbeziehung, aus der vor allem auch ein besonderer Schutz der Autorenbelange resultiert. Auf der Gegenseite steht immer wieder die These, dass der Gedanke, weil immateriell, keinen materiellen Schutzwert habe. Ja, um einen so dummen Gedanken herum lassen sich ganz viele aufgeregte Initiativen scharen und mit ihm ließen und lassen sich Rechtsbrüche legitimieren. Aber Rechtsbrüche setzen kein Recht, und Einfältigkeit ist nicht attraktiv.

Wie sehen Sie die Frage, ob das gedruckte Buch langsam verschwindet?
Reemtsma: Warum sollte es? Umberto Eco hat einmal darauf hingewiesen, dass bestimmte Gebrauchsgegenstände einmal ihre Form finden, die sie dann behalten, weil sie nicht nennenswert verbessert werden können – etwa der Eimer, der Löffel oder das Fahrrad. So auch das Buch. Blättern können sie nur in einem Buch. Scrollen ist nicht Blättern-bloß-anders, sondern etwas Anderes in einem anderen Medium. Auch diese Medien braucht es. Für den Büchergewohnten ist nur von einer gewissen Bedeutung, dass auch diese in die Jackentasche passen.