Dieselgestank statt Drosselklang

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Seit Monaten verschwindet die Buchhandlung Proust in Essen hinter einer großen Baustelle − mit Absperrungen, Staub, Lärm und Dieselgestank. Eine schwierige Situation, die Kreativität und Durchhaltewillen erfordert. Wie die Buchhandlung das Leben hinterm Bauzaun meistert, beschreibt Peter Kolling.

Sicher haben Sie an diesen schönen Sommertagen Ihre Ladentür weit geöffnet, eine Gartenbank vor Ihrem Schaufenster, daneben bunte Blumenkübel, hübsch bepflanzt. Sie überraschen Kunden mit einem Latte macchiato, in jedem Fall mit einem wunderbaren Lesetipp − und diese danken es Ihnen mit einer Papiertüte voller Urlaubslektüren. Großartig!

Nicht ganz so bei uns, einer Literaturbuchhandlung von 100 Quadratmetern in einer Seitenstraße nahe dem Hauptbahnhof − die Tür bleibt zu, die Luft im Laden ist bei 30 Grad stickig. Vor der Tür keine gut gelaunten, flanierenden Menschen; vielmehr Bauzäune, Straßenabsperrungen, Lastwagen. Dazu Staub, Lärm und Dieselgestank statt Drosselklang.

Buchhandelsalltag bei Proust. Seit über einem Jahr und noch bis mindestens Anfang nächsten Jahres anhaltend. Wie wir das − zumindest bis jetzt − überlebt haben und nicht, wie andere Buchhandlungen mit ähnlichen Rahmenbedingungen, entnervt aufgegeben haben oder aufgeben mussten? Erklärungsversuche:

Wir haben das Problem frühzeitig und offen kommuniziert; in unseren Kundenmails, auf der Homepage und den sozialen Netzwerken. Wir haben nichts vertuscht, nichts beschönigt, aber auch nicht gejammert. Allerdings haben wir an die Verantwortung auch unserer Kundschaft für die Situation in ihrer Innenstadt appelliert (lokal einkaufen etc.). Unsere Stammkundschaft kennt unsere schwierige Situation und weiß um die Konsequenzen auch des eigenen Handelns für die Attraktivität der Innenstadt und deren kulturelle Infrastruktur. In diese Kommunikation eingebunden ist auch die lokale und regionale Presse; sie hat berichtet. Die Resonanz war überwältigend. Einzelpersonen, Institutionen, Kindergärten und Firmen aus der Region teilten mit, wie viel ihnen an der Existenz der Buchhandlung liege und unterstrichen dies mit der − anhaltenden − Sendung von Bestellungen. Gleichzeitig wurde regelmäßig, umfangreicher und an prominenterer Stelle auf unser Veranstaltungsprogramm aufmerksam gemacht. Parallel haben wir 2012 einen Internet-Shop etabliert. Der Appell an lokalen Einkauf statt der Unterstützung amerikanischer Großunternehmen geht ins Leere, wenn nicht auch bequeme elektronische Bestellwege angeboten werden. Die Investitionen haben sich rasch amortisiert, Bestellungen über den Shop machen inzwischen so viel aus wie zwei zusätzliche Verkaufstage im Monat. Wir haben auf ein gutes Verhältnis zur Bauleitung und den dort Beschäftigten geachtet. Diese haben unsere Sorgen ernst genommen: Wir dürfen große Baustellenbanner rund um die Baustelle anbringen, die auf die Buchhandlung dahinter hinweisen; an Abenden, wo Veranstaltungen bei uns stattfinden, sind lärmintensive Arbeiten gestoppt worden. Über die großen Baustellenbanner an der Fußgängerzone haben wir Menschen auf uns aufmerksam und vielfach zu Stammkunden machen können. Unser Veranstaltungsprogramm haben wir trotz allem aufrecht­erhalten. Wir wollten demonstrieren, was uns im kulturellen Leben unserer Stadt wichtig ist. Das kam an. Nachdem jetzt noch eine weitere Durchfahrt geschlossen wurde, spendieren wir allen Kunden, die mit dem Fahrrad kommen, ein Mineralwasser und einen Espresso. Am letzten Tag der Straßen­sperrung (Ende September) planen wir mit den Bauarbeitern, den benachbarten Geschäften und unseren Kunden ein "Achtung Baustelle: Ende in Sicht"-Fest zu feiern. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.

Ob das alles bereits reicht, wird sich zum Jahreswechsel erweisen. Bislang sind wir optimistisch und haben uns mit einem neuen Auszubildenden verstärkt.