Literarisches Colloquium Berlin

Schlechte Zahlen, exquisite Programme

20. Juli 2015
von Holger Heimann
In seinem 50. Jubiläumsjahr hat sich das Literarische Colloquium Berlin mit der Wiederauflage unterschiedlicher Veranstaltungsreihen selbst beschenkt. Eine trägt den schönen Titel "Ach zum Teufel die Bilanzen!".

Zum Gespräch eingeladen werden jetzt wie früher Verleger. Und vielleicht ist der freche Ausspruch heute keinem und keiner näher als der Berliner Verlegerin Daniela Seel, die nicht zufällig erst kürzlich zum zehnjährigen Jubiläum ihres Kookbook Verlags die nicht minder forsche Feststellung "Das amortisiert sich nicht" als Festparole ausgegeben hatte.

"Es ging nie darum, Bücher zu machen wegen ihres Marktpotenzials. Dann hätten wir gar nicht erst anzufangen brauchen", hat Daniela Seel über ihr exquisites Lyrikprogramm gesagt. Am vergangenen Samstag saß sie passenderweise auf dem LCB-Podium – gemeinsam mit den Verlegern Heinrich von Berenberg (Berenberg Verlag) und Manfred Metzner (Das Wunderhorn). Doch Daniela Seel schien dann bei Badewetter am Wannsee eher ein bisschen fremd am Platz, vor allem deshalb, weil die von dem Literaturkritiker Martin Lüdke einigermaßen uninspiriert geleitete Diskussion nie recht in Schwung kam.

Dabei hätten die gegenwärtigen Veränderungen im Buchgeschäft reichlich Stoff geboten, um über Perspektiven für Independentverlage zu diskutieren. Darüber zum Beispiel, dass für den Verkauf der Kookbooks-Titel der traditionelle Buchhandel kaum eine Rolle spielt. „Es gibt vielleicht 15 Buchhandlungen, in die es sich zu gehen lohnt, wenn man sich für zeitgenössische Lyrik interessiert. Die übrigen sind für uns keine tollen Kooperationspartner", sagte Daniela Seel. Sie muss für ihr Programm mithin andere Vertriebswege finden. Welche – das hätte man gern gewusst.

Massentauglich ist auch das Programm des Berenberg Verlags – mit dem Schwerpunkt auf biografischer und autobiografischer Literatur und Essayistik – nicht. Eine gleichfalls beabsichtigte Ausrichtung: "Wir sitzen damit zwischen allen Stühlen. Das ist eine für uns bekannte Sitzlage", so beschreibt der Verleger die selbstgewählte Existenz in der Nische. Acht Bücher bringt Berenberg pro Jahr heraus – die strenge Beschränkung ist ebenso Programm: „Damit kann man eine gewisse Originalität behaupten." Dem Berliner Verleger zufolge wird diese Originalität nach wie vor auch im stationären Buchhandel geschätzt. Doch ohne den Internethandel über Amazon brächte er seine Bücher mit Startauflagen von 1.000 bis 2.000 Exemplaren kaum in ausreichender Zahl an die Leser.

Warum das Verlegerleben trotz solcher Abhängigkeit schön ist, verriet Heinrich von Berenberg gleichwohl. Er habe mit der Gründung des Verlags ein narzisstisches Problem gelöst. Als Lektor im Wagenbach Verlag war sein Platz in der zweiten Reihe, ein angenehmer Ort, so Berenberg, "weil ein anderer den Kopf hinhält". Der nicht unerhebliche Nachteil: man werde kaum wahrgenommen. Berenberg ist vor fast zehn Jahren aus der Zone der komfortablen Unsichtbarkeit herausgetreten. Als Verleger zwischen den Stühlen fühlt er sich offenbar noch immer sehr wohl.