Gastspiel von Sebastian Ullrich

Gefällt, was gut ist?

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Wodurch gewinnen Sachbücher die Gunst der Leser? Sebastian Ullrich über die Ausbildung der Geschmacksnerven des Publikums − und den Zusammenhang zwischen guten und populären Sachbüchern. "Das wäre doch ein schöner Traum: dass Bestseller gut sind − und deshalb populär. Nicht umgekehrt", findet der Sachbuchlektor.

"Denn sie sind gut und deshalb populär": So rappten die Fantastischen Vier 1995 in ihrem Song "populär". Populär ist, was gut ist − wenn es sich so verhalten würde, dann müsste man nicht fragen, wie populär Sachbücher heute sein dürfen oder müssen. Doch beim Blick auf die Bestsellerlisten beschleicht nicht wenige der Verdacht, es könne gerade umgekehrt sein. Ist das berechtigt?

Wer eine Frage beantworten will, der sollte sich zunächst vergewissern, worum es bei ihr geht: Was also populär überhaupt bedeutet. Das lateinische Wort populus − Volk − und das davon abgeleitete popularis − zum Volk gehörend − bilden die Wurzel, erfährt man im Duden. Eine Herkunft, die das Wort für jeden Demokraten adelt. Und es werden zwei Bedeutungen unterschieden: bei der großen Masse beliebt und allgemeinverständlich − beides wäre eigentlich jedem Sachbuch zu wünschen.

Allgemein als unverständlich angesehene Sachgebiete einem breiten Publikum verständlich darzubieten und sie ihm dadurch erst zugänglich zu machen: Das gilt gemeinhin als edelste Aufgabe eines Sachbuchs. In dieser Hinsicht müsste die Frage wohl eher lauten: Wie unpopulär dürfen Sachbücher sein? Denn auch komplizierte Inhalte lassen sich ja ansprechend und unterhaltsam darstellen. Jeder Sachbuchautor, der Mitgefühl für seine Leser aufzubringen in der Lage ist, sollte sich bemühen, in diesem Sinne populär zu sein. Und es dürfte wohl auch schwerfallen, Autoren oder Verlage zu finden, die sich nicht wünschten, dass ihre Bücher bei der großen Masse beliebt wären − auf dass der Zuspruch die Konten aller Beteiligten fülle.

Bleibt die Frage, wodurch die Gunst der Massen gewonnen wird. Offensichtlich gibt es sehr gut geschriebene, wichtige Bücher, die nie das Licht der Bestsellerliste erblicken. Stattdessen wärmt dieses Licht nicht selten gerade solche Titel, die sich vor allem die gnadenlose Mobilisierung der Dummheit zugutehalten können. Sollte es für Sachbücher also doch eine Grenze der Popularität geben?

Das Sachbuch lässt den Leser schon durch seinen Namen wissen, dass er in seinem Inneren nicht schöne Literatur, sondern nur schnöde Dinge erwarten dürfe. Doch verweist dieses dröge Entree nicht auch auf eine gewisse Sachlichkeit und Zuverlässigkeit, die man von ihm erwartet? Könnte es sein, dass es eine bestimmte Aura des Sachbuchs gibt, die seine Glaubwürdigkeit und seinen Rang in der Welt der Bücher begründet?

Das echte Sachbuch wäre dann eines, das sich einem aufklärerischen Anspruch verbunden weiß, das zwischen Experten und Publikum vermittelt und auf dessen Qualität sich der Leser verlassen kann. Es gäbe also gewisse Standards, die im Buhlen um den Zuspruch des Publikums nicht unterschritten werden dürften. Etwa durch die sensa­tionsheischende Verbreitung wissenschaftlich nicht haltbarer Behauptungen zur Steigerung von Auflage und Profit. Muss man somit die Hoffnung aufgeben, dass das echte Sachbuch nicht nur allgemein verständlich, sondern auch bei den Massen beliebt sein kann?

Es liegt nicht zuletzt in der Verantwortung der Autoren und Verlage, die Geschmacksnerven des Publikums richtig auszubilden. Denn letztlich ist es wie beim Wein: Wer nie eine Spitzenlage gekostet hat, der merkt gar nicht, was ihm beim Billigfusel entgeht.

Beim Wein gibt es noch das Problem, dass gute Qualität deutlich teurer ist als schlechte. Bei Büchern ist in der Regel nicht einmal das der Fall. Das wäre doch ein schöner Traum: dass man beim Blick auf die Bestsellerlisten sagen kann − diese Sachbücher sind gut und deshalb populär!

 

Mehr zum Thema Sachbuch lesen Sie in unseren Börsenblatt Spezial Sachbuch, Heft 22, das heute (29. Mai) erschienen ist.