Stationärer Buchhandel

"Warum machen wir das?"

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Sebastian Otter wurde kürzlich auf der Jahrestagung der Genossenschaft eBuch neu in den Aufsichtsrat gewählt. In einem Vorstellungs-Schreiben an die eBuch-Mitglieder schildert er auch sein buchhändlerisches „Erweckungserlebnis“ und betont die gesellschaftliche Aufgabe des Sortiments. Wir geben seinen Text hier in Auszügen wieder.

Als vorletzte Woche eine 4. Klasse zum Tag des Buches zu Besuch in unseren Laden kam, wurde ich gefragt, warum ich Buchhändler geworden sei. Natürlich kann ich diese Frage relativ leicht beantworten, aber bewusst geworden ist mir auch, dass dies eine Frage ist, die man sich eigentlich viel öfter stellen sollte: warum machen wir das? Wir stehen im Laden weil wir eben jeden Tag da stehen.

Das Bewusstsein dafür, wie wunderbar unser Beruf ist, geht in der Routine des Alltags aber wohl allzu oft verloren. Warum also haben wir uns dazu entschieden? Die Antwort darauf, weist ganz verschiedene Facetten auf und wird für jeden Einzelnen individuell unterschiedlich ausfallen. Mit Sicherheit werden sich aber unter Buchhändlern auch viele Überschneidungen finden.

Ich erinnere mich genau an das Erlebnis, in religiösem Zusammenhang würde man vielleicht von Erweckungserlebnis sprechen, als wir in der 8. Klasse Dürrenmatts "Der Richter und sein Henker" als Schullektüre hatten. Ich begriff mit einem Mal, welche Bereicherung die Literatur sein kann. Wie durch das Wechselspiel von Sprache und Inhalt, Gefühle und Gedanken transportiert und ausgelöst werden können, eine eigene Welt entstehen kann.

In direkten Kontakt mit dem Buchhandel kam ich schon als kleines Kind in unserem Wohnzimmer. Zweimal im Jahr wurden wir von einem fahrenden Buchhändler besucht, wohl eine mittlerweile ausgestorbene Spezies unter den Versandbuchhändlern. Reinhard Stephan war spezialisiert auf Kunst und Architektur (mein Vater war Architekt), hatte aber nicht nur Fachbücher, sondern für die ganze Familie etwas im Sortiment. Seine Besuche wurden zelebriert wie kleine Feste zu denen meine Mutter immer des Buchhändlers Lieblingsplätzchen backte.

Bei einem neu gekauften Buch verfuhr mein Vater immer gleich. Als kleines Ritual wurde das Buch irgendwo in der Mitte aufgeschlagen und tief hineingerochen. So lernte ich früh, dass Bücher über den Inhalt hinaus, ein sinnliches Vergnügen bereiten können.

Und ich schrecke auch heute nicht davor zurück, mich möglicherweise der Lächerlichkeit preiszugeben, indem ich etwa die Neuedition der Simenon-Bücher bei Diogenes als besonders schön anpreise, weil sie so wunderbar in der Hand liegen. Gänzlich unverständlich ist mir auch, warum die Bücher der Anderen Bibliothek wie Blei in den Regalen stehen.

Die Freude am Buch erklärt ja noch nicht alleine die Berufswahl. Auch wenn ich in diesem Zusammenhang immer wieder gerne an den oberpfälzer Kollegen denke, der mir einmal mit leuchtenden Augen erklärte, dass für ihn der morgendliche Wareneingang, auch nach mehreren Berufsjahren noch, wie ein tägliches, kleines Weihnachten sei.

Ich begreife den Buchhandel als gesellschaftliche Aufgabe, die Buchhandlung als einen Ort der Kommunikation, im Sinne eines kulturellen Austausches. Das meine ich aber nicht so elitär, wie es sich vielleicht anhört. "Es bereitet mir mehr Freude, wenn eine Kundin glückselig den ersehnten neuen Band von "Shades of Grey" abholt, als wenn jemand meint, er müsste schnell mal Hegel lesen und das schale Gefühl zurücklässt, dass er damit vor allem beeindrucken will."

Sich dem Ziel anzunähern, seine Buchhandlung als Ort eines lebendigen Austauschs zu etablieren, kann aber natürlich nur funktionieren, wenn man den Kopf einigermaßen frei hat und nicht dauernd vom Kampf ums Überleben eingenommen ist. Ich bin davon überzeugt, dass die eBuch in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag leistet.

 

Sebastian Otter (42) betreibt seit 2004 einen kleinen Laden ("BuchOtter") mit allgemeinem Sortiment in Ebersberg, einer kleinen Kreisstadt 30 km östlich von München. Nach seiner Lehre bei Herzog in Wasserburg am Inn ging er nach Hamburg, wo er bei Axel Lüders und bei Max Wiedebusch beschäftigt war. Später studierte er an der Hochschule für Wirtschaft und Politik BWL mit Schwerpunkt Marketing.