Internationales Literaturfestival in Prishtina/Kosovo

Für Frieden und Toleranz

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Die dritte Auflage von "polip − Internationales Literaturfestival in Prishtina/Kosovo" fand vom 10. bis 12. Mai statt. Im Mittelpunkt stand dabei Literatur aus Südosteuropa. Ein Bericht von Volker Dittrich, der im Berlin Dittrich Verlag die editionBalkan herausbringt.

Das Internationale Literaturfestival polip in Prishtina im Kosovo präsentiert Literatur von den abgetrennten Welten Südosteuropas, so steht es in der Programmzeitung BETON. Die Organisatoren dieses nun schon zum dritten Mal stattfindenden Literaturfestes wollen das Tor in die Welt aufstoßen. Die Literatur als Vermittler zu Europa, aber zuerst einmal als Vermittler zwischen ihren durch Nationalismus und Kriege verfeindeten Völkern.

Den Kosovo verbinden die meisten Menschen nur mit Krieg und Vertreibung. Und den umstrittenen Bombenangriffen der NATO auf Belgrad und andere serbische Städte. Das alles ist erst 15 Jahre her. Deshalb hat das Literaturfestival polip, dessen Organisatoren der Albaner Jeton Neziraj aus dem Kosovo und der Serbe Sasa Ilić aus Belgrad sind, eine große Bedeutung. Die beiden Schriftsteller haben weit über die Literatur hinaus ihre Ziele für polip formuliert. Auf diesem internationalen Festival soll es nicht nur um Literatur gehen, es soll gleichzeitig ein neues Vertrauen geschaffen werden zwischen den teilnehmenden Künstlern, die fast alle als sehr junge Menschen den Krieg und den Hass zwischen ihren Völkern erlebt haben. Und es soll die Basis sein für eine gemeinsame Konfliktbearbeitung.

Jeton Neziraj, dessen Theaterstücke in viele Sprachen übersetzt sind und auch in Deutschland gespielt werden, erzählt, wie er auf die Idee kam, dieses Festival ins Leben zu rufen: "Wir wollten nicht nur die Literatur fördern, sondern auch einen Austausch zwischen Serbien und Kosovo einleiten. Es war das erste Festival nach dem Krieg auf dem Autoren aus Serbien in Prishtina gelesen haben. Zuvor gab es keinen Austausch, weder kulturell und auch nicht zwischen den Autoren. Es gab keine Vermittlung zwischen der Literatur aus Serbien und aus dem Kosovo."

In diesem Jahr haben die polip-Veranstalter ihren Südosteuropa-Fokus erweitert und auch Künstler aus anderen Regionen eingeladen − unter dem Blickwinkel, dass diese sich mit großem persönlichen Mut und Verantwortung in ihrem Land für Versöhnung und Verständigung einsetzen. So kam es zur Einladung der Lyrikerinnen Tal Nitzán aus Israel und Eftychia Panayiotou aus Cypern und dem Schriftsteller György Dragomán ("Der weiße König", Suhrkamp) aus Ungarn.

"Es mag wie ein Witz klingen", sagt Jeton, "aber wir sahen uns als Profis aufgrund unserer Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo, und wir dachten, vielleicht sollten wir unser Wissen an andere Länder weitergeben. Wir dachten anfangs, nur wir haben diese Problematik. Dabei haben wir vergessen, dass es auch andere Länder gibt, die dasselbe durchmachen oder durchgemacht haben. Deswegen sehen wir es als Gewinn an, von den Autoren der anderen Ländern auch etwas zu lernen."

Außer den abendlichen Lesungen gab es Veranstaltungen zu den Themen "Traumata" und "Die Literatur des unbekannten Anderen". Beklagt wurde von Faruk Šehić aus Bosnien und Herzegowina, dass es keine gemeinsame Sprache mehr zwischen den Ländern gäbe, nachdem das Serbokroatische den einzelnen Landessprachen weichen mussste.

Als Verleger sprach ich in einem von Doris Akrap (taz) geleiteten Panel zusammen mit Verena Nolte (Kulturallmende) und dem deutschen Schriftsteller Ralph Hammerthaler, der für einen Monat "Writer in Residenz in Prishtina" ist, über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Literatur vom Balkan auf dem deutschen Literaturmarkt.

Ralph Hammerthaler erzählt mir später, wie sich sein Bild vom Kosovo durch seinen Aufenthalt in Prishtina in kurzer Zeit verändert hat: "Es ist eine sehr lebendige, sehr junge Stadt. Meine ganzen Klischees sind zerstört, die ich im Kopf hatte, und die ich mir durch Zeitungsberichte offenbar angeeignet hatte."

Die Stimmung an den Lesungsabenden ist locker, gelöst und freundschaftlich. Man hört viele Sprachen. Sehr  erstaunt bin ich darüber, dass sich auch Sasa Ilić und Jeton Neziraj, ebenso wie alle anderen, auf Englisch verständigen, und nicht auf Serbokroatisch. Der Grund dafür sei, dass die jungen Albaner nur noch sehr schlecht Serbokroatisch sprächen, was zuvor jeder im Kosovo beherrschte, und die nach dem Krieg geborenen überhaupt nicht mehr. So werden bei der Lesung auch die serbischen Texte für das Publikum ins Englische übersetzt.

Am Sonntagmorgen (12. Mai) führte ein Halbmarathon an meinem Hotel an der Mutter-Teresa-Straße vorbei. Er stand unter dem Motto: Für Frieden und Toleranz.