Gastspiel von Dieter Dausien

Wofür Buchhandlungen stehen

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Es ist gefährlich, die besondere gesellschaftliche Funktion des stationären Sortiments zu relativieren. Gleiches gilt für das gedruckte Buch: E-Books sind nicht schlecht, aber die aus Papier können mehr. "Das Vorhalten und das Lesen von Dateien ist etwas ganz anderes als das Lesen von Büchern", meint der Hanauer Buchhändler Dieter Dausien.

Stets das gleiche Bild: Bei jeder, manchmal vielleicht etwas engherzigen Reaktion von Sortimentern auf die neuesten Schachzüge von Amazon ergießt sich auf boersenblatt.net ein kleiner Shitstorm über die weltfernen Sortimenter, die immer noch nicht erkannt haben, dass sie wie einst die Pferdekutscher in einer existenziellen Sackgasse gelandet sind. Der Buchhändler als kleiner Dinosaurier, der noch immer zwischen seinen Regalen voller, ja genau: Bücher sitzt, im Wollpulli, die Kaffeetasse in der Hand, und nicht gecheckt hat, wie der netzaffine Leser heute tickt. 

Es mag Kollegen geben, die dieses Bild nähren, und dennoch konstatiert die "FAZ" den Konsens im Buchhandel, dass E-Books nicht "doof" sind. Stimmt, das sind sie nicht und die unzähligen noch nicht ausgeschöpften Möglichkeiten multimedialer Anreicherung, insbesondere von Fach- und Sachbüchern, sind fantastisch. Dennoch sollte bei aller Euphorie nicht vergessen werden, dass das Lesen und Vorhalten von Dateien etwas ganz anderes ist als das von Büchern, und nicht immer zum Vorteil des Inhalts.

Es braucht nicht viel Fantasie, um im Kauf von E-Books ein Übergangsstadium zu erkennen. Vieles, was für die Anschaffung gedruckter Bücher spricht, fehlt dem entmaterialisierten E-Book:

  • Das fängt damit an, dass die eigene Bibliothek unsichtbar bleibt. Der Anwaltspraxis fehlt die Kompetenztapete, und auch kein Besucher daheim sieht mehr, was man alles gelesen hat (oder gelesen zu haben vorgibt). 
  • Der Dialog "Oh, was liest du denn da gerade?" − "Ein tolles Buch, magst du es dir mal ausleihen?" kann nicht mehr stattfinden. Gespräche über Bücher finden weniger Anknüpfungspunkte, das Objekt als Aufhänger fehlt.
  • Durch die individualisierte Form der Nutzung wird die Rezeption eines Textes noch mehr zu einem vereinzelten Vorgang. Bücher werden Teil der Datenflut, die die Festplatten dieser Welt verkraften müssen.
  • Dateien kann man nicht anfassen. Damit verliert der Text seine äußere Gestalt. Einband, Haptik, Cover­gestaltung repräsentieren den Inhalt und machen aus einem Text ein zu begehrendes Objekt.

Warum also sollte man fast so viel wie fürs Printbuch dafür ausgeben, sich riesige Textdateien zu kaufen, die dann weitgehend unbemerkt auf Festplatten und Lesegeräten liegen? Um deren Verwaltung man sich kümmern muss, wenn man einen neuen Rechner kauft oder der Reader verloren geht. Da liegt der Schritt nahe, auf den Kauf zu verzichten und stattdessen eine E-Book-"Ausleihe" zu nutzen, also gar keinen Besitz mehr zu erwerben, sondern nur noch eine Flatrate, die Lizenz zum Lesen.

Und hier liegt die Gefahr verborgen: Wenn nämlich nur noch aus der Cloud gelesen wird, stellt sich die Frage, wer bestimmt, was in die Cloud hineinkommt? Es ist unschwer vorherzusagen, dass dieser Markt von nur wenigen Aggregatoren bestimmt sein wird, wenn nicht gar von einem. Dieser Monopolist ist selbstverständlich seinen Aktionären verpflichtet und nicht der Freiheit des Wortes. Was dies bedeutet, zumal in Ländern mit "restriktiver Meinungsfreiheit", kann man sich ausmalen.

Hat also das gedruckte Buch doch noch einen eigenen Wert, den es zu schützen gilt? Die gleiche Frage stellt sich bezüglich der Vertriebswege. Wenn es um die Versorgung der Bevölkerung mit Text und Bild geht, dann scheint es egal, wer diese Versorgung organisiert: ob Buchhandlungen, die von den Lesern aufgesucht werden, oder der Onlinehandel, den wir auch einfach Amazon nennen können. Doch auch hier ist die Beliebigkeit ein Trugschluss, auch wenn unser Vorsteher kürzlich glaubte, betonen zu müssen, kein Vertriebsweg sei besser oder gar schützenswerter als der andere. Betrüblich, dass man auch innerhalb der Branche noch einmal darauf hinweisen muss, dass Buchhandlungen nicht nur dem Verkauf von Büchern dienen, sondern auch der Sichtbarmachung des Buches in den Innenstädten. Und der Vermittlung von Literatur. Dass Buchhandlungen und nicht Onlineversender Leseförderung betreiben und Schulbibliotheken sponsern. Dafür sind wir da. Auch wenn unsere Päckchen manchmal länger unterwegs zum Kunden sein mögen: Wir sind besser − und das Buch ist es ebenso.