Brauchen wir eine kriminal-literarische Qualitätsdiskussion? Ja, dringend. Obwohl – brauchen wir nicht eher Qualität als Diskussionen, die niemand so recht führen möchte?
Es ist ja so mit dem Krimi: Einerseits beherrscht er tsunamihaft den Markt, andererseits hat er sich so ausdifferenziert, dass im Extremfall auf vielen Büchern "Krimi" steht, die fast gar nichts miteinander zu tun haben. Zwischen einem beliebigen Regio- oder Schenkelklopf & Knödel-Roman und "richtigen" Kriminalromanen auf der Höhe der Zeit (ästhetisch und intellektuell) gibt es kaum noch Gemeinsamkeiten, außer dass es irgendwie um Gewalt und Verbrechen geht.
Dann ist da noch der "Geschmack", der nicht weiter begründet sein muss. Also gibt es keine schlechten Bücher, sondern nur die falsche Zielgruppe? Ein frommes Argument, das Bücher ruinieren kann. Etwa den großartigen New-Orleans-Roman "Die Stadt der Toten" von Sara Gran, der in einem ersten Marketing-(Vor-)Lauf in die Hände von Lesern geriet, denen das Buch nicht moralisch einwandfrei genug war (Drogen!), die der Handlung nicht folgen konnten, die die Ironie nicht verstanden – deren Leseeindrücke also geeignet waren, ein Buch und damit die Zukunft der Autorin auf unserem Markt nachhaltig zu behindern. Wäre der Roman nicht in die Hände einiger professioneller Kritiker geraten und hätte er es nicht auf die "KrimiZeit"-Bestenliste geschafft – wer weiß …
Eine Diskussion darüber, wie so eine Fehleinschätzung passieren und warum bei Weitem nicht alles "Geschmack", "zielgruppenkompatibel" und kriterienlos sein kann und auch de facto nicht ist, hat nie stattgefunden, weil es eine Kommunikationsbarriere gibt: Eine große Lesergruppe fühlt sich von derlei "Qualitätsdiskussion" belästigt, weil sie Kriminalromane als Wellnessprodukt versteht und einfach genießen will. Das ist legitim. Schade ist, dass das, was den größten Wohlfühlfaktor beschert, mit dem State of the Art des Genres oft wenig zu tun hat. Wer sehr erfolgreiche und allgegenwärtige Bestsellerautoren deswegen auch für wichtige Krimi-Autoren hält und nicht dagegen Peter Temple, Malla Nunn oder Merle Kröger, kann notfalls eine böse Überraschung für 20 Euro erleben.
Eine "Qualitätsdiskussion" wäre in dem Fall eine substanzielle Orientierungshilfe in einem arg unübersichtlichen Markt. Platz dafür in unserer Sekundärlandschaft wäre allerdings schön. Aber da beißt sich die Katze in den Schwanz: Weil "Krimis" durch Überproduktion und oft alberne Selbstdarstellung sich selbst marginalisieren, werden die Plätze im Print rarer und die Krimi-Communitys im Netz letztlich nur Fanbase. Buchhändlerisch gesehen besteht die Gefahr, dass die Welle vielleicht doch eines Tages bricht und mit den Megasellern und deren Klonen auch die Qualitätsbücher verschwinden, die mit ersteren nur das Etikett "Krimi" gemein haben und dafür bestraft werden: Qualitätsdiskussion als Präventionsmaßnahme.
Aktuell auch als Entscheidungshilfe: Wer – abgeschreckt durch miese Krimis – dem Genre nicht traut, verpasst eine Menge erstklassiger Literatur, selbst wenn "Krimi" draufsteht. Blöd, wenn solche Bücher deswegen schlechter verkäuflich sind. Der Buchhandel verdient genauso gern Geld mit Qualität. Sogar noch lieber.
Mehr zum Thema Spannungsliteratur lesen Sie in unserem Spezial Krimi & Thriller (Börsenblatt 2/2013), das heute erschienen ist.