Interaktive E-Books

ePub3: Ein Standard auf Warteposition

23. Juli 2015
von Börsenblatt
ePub3 ist seit gut einem Jahr Standard, spielt am Markt bislang aber kaum eine Rolle – weil die Unterstützung fehlt: Amazon und Apple kochen lieber ihr eigenes Süppchen. Ein Gespräch mit Michael Hofner (Kaltner Verlagsmedien) über die Formatfrage und was Google hier ausrichten könnte.

In der Welt der digitalen Bücher steht mit KF8 von Amazon und ePub 3.0 ein Upgrade an. Was trauen Sie den Formaten zu?

Hofner: Das ist unterschiedlich. Amazon schafft mit KF8 eine Umgebung, in der nun mehr Formatierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und multimediale Anreicherung durch Video/Audio zulässig ist. ePub 3.0 bringt ebenfalls mehr Formatierungsmöglichkeiten, darüber hinaus aber auch multimediale und zusätzlich interaktive Funktionen.

Heißt das, ePub 3.0 ist letztlich das spannendere Format?

Hofner: Nicht unbedingt. Das KF8-Format und die zugehörigen Endgeräte sind heute schon verfügbar. ePub 3.0 existiert faktisch nur als dokumentierter Standard. Inhalte und kompatible Lesegeräte und Lesesoftware sind im Markt nicht vorhanden. Es ist nicht nur die Frage nach dem spannenderen Format, sondern es gilt auch die Vertriebskanäle mit einzubeziehen. Wenn man über Amazon verkaufen möchte, und hier liegen die Absatzanteile bei Verlagen zwischen 10 Prozent und 60 Prozent, muss ein Verlag das Amazon-Format liefern. Der Verkauf von ePub-Dateien ist dort nicht möglich.

Und Amazon verschließt sich interaktiven Elementen?

Hofner: Zumindest ist der Grad an Interaktivität, der mit KF8 möglich ist, deutlich geringer. Die zugrundeliegende Technologie für interaktive Elemente ist Javascript – und Javascript ist nicht Teil der Spezifikation, die Amazon vorgelegt hat. Lediglich das Einbetten von Audio- und Video-Dateien ist möglich. Die Wiedergabe klappt derzeit paradoxerweise nur auf iOS Geräten.

Warum klammert Amazon Javascript aus?

Hofner: Den Grund dafür kenne ich natürlich nicht, und eine Stellungnahme seitens Amazon wäre spannend. Vermutlich liegt es daran, wie der Konzern sein Geschäft betreibt. Amazon verfügt über ein eigenes Öko-System an Hardware-Readern und Apps für Smartphones, Tablets sowie Software zum Lesen auf Computern. Wer E-Books für all diese unterschiedlichen Geräte anbieten will, setzt sich auch technischen Limitierungen aus, insbesondere wenn man bis zu einem gewissen Grad abwärtskompatibel sein möchte.

Wie reagieren Verlage darauf, wenn sie all die schönen Möglichkeiten haben, um interaktive E-Books zu machen, diese aber nicht überall verkaufen können?

Hofner: Ich denke Verlage tun das Gleiche wie bisher auch. Sie könnten sich entweder dafür entscheiden, kanalspezifisch Titel anzureichern oder über alle Plattformen das Buch in gleicher Form zu veröffentlichen. Beides ist denkbar, aber auch abhängig vom Verlagsgenre beziehungsweise vom Content. Belletristik-Verlage etwa sind tendenziell weniger auf Anreicherungen angewiesen als Ratgeber-Verlage. Nicht jedes Buch profitiert also in gleichem Maß davon, angereichert zu werden.

Haben die neuen Formate denn das Zeug dazu, den E-Book-Markt in Deutschland zu pushen?

Hofner: Ja, sofern die Lesegeräte und Lese-Apps in signifikanter Anzahl im Markt etabliert sind. Derzeit „lernen“ die Leser, insbesondere durch Apple und die dort bereits heute vorhandenen Möglichkeiten der interaktiven Anreicherung, wo die Reise hingeht. Grundsätzlich würde ich nicht davon ausgehen, dass heute ein Leser beim Wort E-Book direkt an ein multimedial oder interaktiv angereichertes Buch denkt beziehungsweise es auch erwartet.

KF8 und ePub 3.0 sind keine Erfindungen des Jahres 2012 – trotzdem wirkt ePub 3.0 weiterhin wie ein Standard, den keiner haben will.

Hofner: Ich sehe es etwas differenzierter. Verlage haben sehr wohl Interesse mit möglichst einem Format eine hohe Reichweite an Lesern zu bedienen. Ich würde Sie daher durchaus als ePub 3.0 aufgeschlossen beschreiben. Warum aber ein Format produzieren, dass niemand lesen kann? Wir haben also ein typisches Henne-Ei-Problem. Es gibt keine Lesesoftware und keine Lesegeräte, die den neuen Standard unterstützen. Laut Aussage der Hersteller gibt es keinen Content im Format, deshalb arbeitet man auch nicht mit Hochdruck an der Umsetzung. Hinzu kommt, dass Apple und Amazon ihr eigenes Ökosystem "befeuern" und sich durch Erweiterungen des Standards ePub 2.0 – Apple zum Beispiel mit Fixed-Layout – beziehunsgweise durch eigene Standards – KF8 Amazon oder Apple iBooks Author – exklusive Vorteile den Verlagen und damit ihren Ökosystem sichern wollen. Das hemmt natürlich eine Verbreitung von ePub 3.0 zusätzlich.

Wird das so bleiben? Oder anders gefragt: Wie lange können sich Apple und Amazon in der Formatfrage derart gegeneinander abschotten und an ihren geschlossenen Systemen festhalten?

Hofner: Die Antwort liegt auf der Hand: Solange, wie sie Erfolg damit haben. Amazon verfolgt aus der Außenperspektive wahrnehmbar das Ziel, den Massenmarkt zu erreichen und fokussierte sich bisher auf Belletristik, was übrigens auch ein Grund dafür sein könnte, warum Amazon nun auch ein niedriges Interaktionsniveau mit KF8 anpeilt. Bei Apple stellt sich die Sache anders dar: Das Unternehmen hat schon 2011 Möglichkeiten veröffentlicht, ePub 2.0 Dateien durch Apple-spezifische Erweiterungen interaktiver zu gestalten – etwa durch die Einbettung von Video- und Audio-Dateien und die Fixed-Layout-Darstellung, bei der die ursprüngliche Seitengeometrie beibehalten werden kann und zusätzlich interaktive Anreicherungen möglich sind.

Wenn weder Apple noch Amazon sich für den Standard stark machen – wer dann? Google?
 
Hofner: Durchaus. Google ist ein potenzieller Kandidat, der den Standard wirklich in den Markt führen könnte. Dass via Google Play momentan "nur" ePub2-Inhalte zu haben sind, könnte ein Wettbewerbsnachteil sein. Möglicherweise liege ich da falsch, aber ich halte es aufgrund unterschiedlicher Faktoren nicht für abwegig, dass Google der erste Anbieter sein wird, der ePub 3.0 in vollem Umfang unterstützt. Damit kommt dann auch der nötige Schwung in den Markt.

Müssten da nicht auch die E-Reader-Hersteller mitziehen?

Hofner: Offiziell haben sich viele Hersteller schon 2011 bei der Veröffentlichung von ePub 3.0 hinter den Standard gestellt. Schwierig ist sicher, dass multimediale Inhalte wie Videos aufgrund der trägen Umschaltzeiten auf E-Ink-Geräten derzeit nicht funktionieren. Nimmt man dies und auch die aktuellen Absatzentwicklungen – wie sie Bitkom erfasst – zusammen, würde ich sagen: ePub 3.0 ist für Hersteller von eInk-basierten Readern ein schwieriges Thema; ungelöste technische Limitierungen und zusätzliche Entwicklungskosten stehen einem langsam wachsendem Absatz gegenüber. Besser sieht es für die Hersteller von Tablets und Smartphones aus. Wer hier allerdings maßgeblich dahinter steht, und welche eigenen Interessen verfolgt werden, habe ich ja bereits erläutert.

Was empfehlen Sie Verlagen?

Hofner: Sich auf das Szenario vorbereiten, dass eBooks in den Formaten KF8, ePub 2.0, ePub 3.0 und ggf. in einem Übergangszeitraum auch in Formaten wie iBooks Author oder ePub 2.0 Apple Enhanced veröffentlich werden müssen. Es gilt also redaktionsseitig die technischen Möglichkeiten zu kennen und gezielt die "richtigen", also vom Kunden nachgefragten Formate, mit dem geeigneten Content zu bedienen. Der Grad der multimedialen Anreicherung wird hier vermutlich durch kosten- und nutzenorientierte Aspekte abgewägt werden müssen. Seitens der Herstellung gilt es, möglichst automatisierte Produktionsabläufe bereitzustellen, die eine kosteneffiziente Ausgabe in multiple Formate möglich machen.