Diskussionsrunde im Literaturhaus Berlin

Dreieinigkeit: das gute Buch

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Kontrovers wurde "Die Zukunft der Bücher" am gestrigen Abend im Berliner Literaturhaus nicht diskutiert – wenngleich die Runde der Gesprächsteilnehmer um Börsenblatt-Redakteur Holger Heimann sich zuvor geeinigt hatte, nicht das Loblied aufs Buch zu singen. Verhandelt wurde das gute haptische Präsens des Mediums mit realistischem Blick auf jene Felder, die das Druckwerk dem digitalen Konkurrenten abtreten dürfte.

Der Schriftsteller Thomas Lehr wagte schon 1991 den Blick in die digitale Zukunft. Mit seiner "Bibliothek der Gnade" als "wertfreiem zweiten Gehirn der Menschheit", nahm er self-publishing, google books und den heute akuten Kulturkonflikt zwischen anarchischer Publikationsflut und althergebrachtem Verlagswesen satirisch vorweg. Keine Hellsichtigkeit, sagt der ehemalige Programmierer an einer Universitätsbibliothek: "Hinter der Automatisierung von Bibliotheksbeständen steckte damals schon die Idee, auch Inhalte zu konservieren."

Gefährdet die gigantische digitale "backlist der Menschheit" nicht die Zukunft des gedruckten Buches? Keineswegs, so Lehr, denn "das gebundene Buch hat Aura". Zu überlegen sei, welche Sparten des Schrifttums betroffen seien und welche nicht: So würden wissenschaftliche Zeitschriftenaufsätze zum e-journal, während sich die technologische Überlegenheit des Papierbuches zum Beispiel im wissenschaftlichen Standardwerk manifestiere.

Auch Hanser Berlin-Verlegerin Elisabeth Ruge ist überzeugt vom Bestehen des gebundenen Buches. Obwohl die Verlegerin, "fasziniert von der accessibility des Digitalen", seit 2010 mit ihrem Berlin Academic Verlags Bücher unter Open-Access-Kriterien online zugänglich macht, schwärmt sie von Dünndruck, Leinen und Lesebändchen. Ihren e-book-reader nutzt sie nur für quer zu lesende Bücher. Ähnlich sieht Julia Claren, Geschäftsführerin des Dussmann-Kulturkaufhauses, die "schnelle Unterhaltung ohne Aura, benutzt und weg", ins e-book abwandern, so auch alles rein als Information Verfügbare, Sachtexte, Ratgeber. Hingegen Klassiker und andere als wertvoll erachtete Bücher wollten erobert werden.

Was heißt das für Verlage? Ruge: "Die bekommen vorgeführt, dass sie sich ein bisschen mehr Mühe geben müssen." Statt Outsourcing sei "Bündelung von sonst teuer zu erkaufenden Einzelleistungen und Bewusstsein für alles, was zusammenkommt, um ein gutes Buch zu veröffentlichen", notwendig. "Der Verlag ist ein großer Zug, der zu den Bahnhöfen fährt", ergänzt Lehr.

Und die Haltestation Buchhandlung? Den Umweg über den Buchhändler müssen Kunden heute nicht mehr gehen, fürs e-book schon gar nicht. Überdies sind Kunden ihren Händlern immer häufiger wissensüberlegen, weil sie zuvor im Internet recherchiert haben. Claren folgert: "Wir müssen nutzen, dass die Kommunikation nicht mehr hierarchisch ist." Bleibt also die papierne Aura, die Inspiration durch ein sorgfältig aufgestelltes Sortiment. Denn letztlich entscheide, so Claren, der Nutzer, ob er Digitales oder Dreidimensionales haben wolle. Und so mutet Lehrs Appell dann doch nicht ganz altmodisch an: "Wir müssen für die junge Generation Argumente sammeln fürs gute Buch."