Interview mit Hubert Winkels

„Den Schatz vermehren“

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Hubert Winkels, neuer Jury-Vorsitzender beim Preis der Leipziger Buchmesse, über kommende Herausforderungen, einen Brückenschlag zur LitCologne und Kritiker als Performer. 

Sie kennen den Reigen der Literaturpreise aus dem Effeff. Was reizt sie an der Arbeit für Leipzig?
Da ist zum einen die Vielfalt der Genres und Textsorten: Neben der neuen belletristischen Literatur werden auch Essayistik und Sachbuch mit einbezogen, dazu die gesamte fremdsprachige Literatur über die Auszeichnung der Übersetzungen. Das ist ein so weiter Ausgriff auf das literarische Feld wie nirgendwo sonst im deutschsprachigen Raum. Die Jury besteht ausschließlich aus Fachjuroren, auch das finden Sie selten. Und schließlich ist das Engagement für drei Jahre eine besondere Herausforderung: Man will nicht nur, dass es in dieser Zeit auf eine gute Weise läuft – sondern ist auch bemüht, den Preis weiterzuentwickeln, ihm einen besonderen Spin zu geben.

Wie könnte der aussehen?
Die Grundfrage ist: Wie kann man einen Schatz, den man schon hat, vermehren? Wie das, was schon da ist, als Kraft nutzen? Im Selbstverständnis der Messe ist der Preis ein herausgehobener Teil von „Leipzig liest“ – einem Festival, das allein wegen der immens hohen Zahl von Veranstaltungen Gefahr läuft, an Profil zu verlieren. Der Preis ist ein profilschärfendes Moment; mit diesem Pfund müsste man stärker wuchern: Man hat 15 herausragende Autorinnen und Autoren in der Stadt, die meines Erachtens zu kurz im Fokus der Öffentlichkeit stehen.

Das Zeitfenster ist eng...
Dennoch sind weitere Veranstaltungen mit den Nominierten und Preisträgern denkbar. Eine Idee nimmt schon Gestalt an: Als Rheinländer, der seit vielen Jahren auch bei der LitCologne engagiert ist, fand ich die Animositäten zwischen den beiden Festivals immer bedauerlich. Warum nicht den Preis der Leipziger Buchmesse auf der LitCologne präsentieren? Bei den Machern in Köln fiel die Idee auf fruchtbaren Boden, sie wollen im Gegenzug den „Silberschweinpreis“ der LitCologne für junge Literatur im Rahmen von „Leipzig liest“ vorstellen. Ich finde so einen Brückenschlag von Ost und West sehr schön – jetzt ist die Frage, wie man es logistisch hinbekommt.

Bei prominenten Preisen gehen kleinere Verlage oft leer aus, als Reaktion formierte sich der„Hotlist“-Preis. Ein Missverhältnis – oder spiegelt das nur die Kräfteverteilung auf dem Markt wieder? Wenn’s um die Wurst geht, sind die Großen unter sich?
Bei der Beurteilung eines Textes sollte der Verlag keine Rolle spielen. Natürlich sind kleinere Verlage oft mutiger, gehen innovative Wege. Deshalb verdienen sie einen etwas größeren Aufmerksamkeitsschub am Anfang. Im Laufe der Diskussion wächst sich das aus. Dann geht es nur noch um Qualität. Die Guten landen häufig bei größeren Verlagen, man mag es bedauern, aber das ist der Lauf der Dinge. Wie soll ich als Wacker Burghausen den Spieler halten, der bei Bayern spielen soll...

Die ökonomische Krise von Zeitschriften und Zeitungen bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Literaturkritik. Preise führen heute direkter zu Bestsellern als die klassische Rezension im Feuilleton…
Es fällt auf, dass sich das gesamte literarische Feld verschiebt. Dazu gehört die Zunahme der performativen Darstellungen der Literatur – in Lesungen, Diskussionen und eben auch Preisverleihungen. Auch wir Kritiker sind Handelsreisende in Sachen Literatur geworden und sitzen ununterbrochen auf Bühnen, Podien, vor Mikrofonen und Kameras. Es gibt eine permanente Begegnung aller mit allen – was bei Kritikern wie Autoren nicht folgenlos fürs Schreiben bleibt.

Bedauern Sie diese Entwicklung? Würden Sie lieber mehr schreiben?
Spontan, mit Blick auf die letzten zwei Jahrzehnte, würde ich sagen: Wie schade, dass die wunderbar formulierten, selber oft literarischen Rang habenden kritischen Texte nicht mehr die gleiche Aufmerksamkeit finden. Es ist ein schleichender Prozess, den ich natürlich bedaure – weil ich völlig vom Schriftlichen herkomme. Ich bin ein Lese- und Schreibe-Mensch; das hat meine Sozialisation geprägt, dadurch bin ich der geworden, der ich bin. Ich muss aber anerkennen, dass ich seit Jahren immer mehr ein auftretender Mensch bin. Der mit anderen öffentlich diskutiert und redet. Das sind Herausforderungen, denen ich mich auch handwerklich stellen muss. Man kann gute Gespräche führen, man kann, auf Podien moderierend, Erkenntnisse generieren mit Autoren, die nur da und nur so entstehen. Deshalb sollte man dieses Feld ernst nehmen. Es nützt nichts, dem mit Abwehr zu begegnen, zu sagen: Wir hätten’s gern wieder so „buchreligionsförmig“, wie es mal war.

Der Einfluss einer Jury auf das, was anschließend im Buchhandel verkauft wird, ist nicht unbeträchtlich. Wie geht man als Juror mit dieser „Macht“ um?
Wenn wir einen Lyrik-Band auszeichnen würden, würden viele lange Gesichter machen. Man würde auch Schelte bekommen. Bei großen Preisen sollte man keinen exotischen Weg gehen und nach Kleinverlagen mit avantgardistischer Lyrik suchen. Das wäre der falsche Weg. Man adressiert sich an ein großes nationales, ja internationales Publikum. Natürlich freut man sich, ein Buch auszuzeichnen, das anschließend eine große Zahl von Lesern hat. Die halbe Nation liest es – toll! Für mich ist es viel wichtiger, ein Buch herauszuheben, das einen besonderen Akzent setzt. Das eine ästhetische Seite hat, die bemerkenswert, neu – und möglicher Weise sogar attraktiv für andere Autoren ist. Dass jemand anschließend 100.000 oder mehr Bücher verkauft, ist für mich reine Freude. Auch die Autoren, die den Preis der Leipziger Buchmesse gewinnen, sind ja danach nicht Bill Gates. Sie haben für ein paar Jahre das psychologische Polster des Ruhms, können ein Jahr gut leben – aber das ist ja nicht die Welt. Letztlich gehört zum Schönen an so einer Jury, dass man etwas Gutes tut.   

   

Hubert Winkels, geboren 1955, arbeitet als Literaturredakteur beim Deutschlandfunk in Köln und ist als Literaturkritiker unter anderem für die „Zeit“ tätig. Daneben ist Winkels als Juror bei zahlreichen Literaturpreisen aktiv, derzeit etwa beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb und beim Wilhelm-Raabe-Preis des Deutschlandfunks und der Stadt Braunschweig. Als Jury-Vorsitzender beim Preis der Leipziger Buchmesse löst er die Publizistin Verena Auffermann ab, die ihre Mitarbeit nach drei Jahren turnusgemäß beendet hat.