Gierige Hände auf der Frankfurter Buchmesse

"Georg, die Tüte reißt!"

23. Juli 2015
von Stefan Hauck
Viele viele bunte Bücher, alle zum Greifen nahe: Den Unterschied zwischen Werbeprospekten und Büchern als Ansichtsexemplare scheint nicht jeder zu verstehen. Eine Auswahl beobachteter Szenen an den beiden Publikumstagen der Frankfurter Buchmesse, die in einer halben Stunde zu Ende geht.

Beginnen wir fast harmlos. Schwer beladen geht das Pärchen in Halle 4.1 durch Gang H.
"Bleib mal stehn, Georg! ... Georg! Deine Tüte reißt!"
"Was?"
"Stell mal die Tüte ab, die reißt!"
"Weil die Gänge so eng sind, und viel zu viele Leute, da bleib ich mit den Tüten im Gedränge hängen."
"Und weil du zu viel zu schwere Bücher drin hast. Was willst du zum Beispiel mit dem hier, das ist doch der zweite Band, das macht doch keinen Sinn, wo du den ersten gar nicht kennst. Jetzt hör mal auf mit dem Einsammeln, die liest Du doch gar nicht alle."
"Das weißt du doch gar nicht, ich interessiere mich halt."
"Wieso nimmst du überhaupt die ganzen Bücher mit?"
"Ja wozu verteilen sie denn sonst die Tüten am Eingang? Jetzt tu ich mal drei Bücher raus, und dann weiter, wir wollen ja noch zu den Österreichern hinten."

Die Sichtweise der beiden scheint sich nur unwesentlich von der eines kleinen Mädchens zu unterscheiden, das  die Figuren in dem gerade mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Buch "Was, wenn es nur so aussieht, als wäre ich da?" zu mögen scheint. "Kann ich das Buch hier geschenkt bekommen?", fragt sie mit treuherzigem Augenaufschlag den Thienemann-Verleger am Stand. Sind ja noch so viele andere Bücher da ...

Der Drang zum Mitnehmen zeigt sich auch bei den Besuchern des Oetinger-Stands. Dass ich ein Schild am Revers trage, scheint ihnen als Kompetenz zu genügen, auch wenn ich gar nicht zum Stand gehöre. Neben den Fragen nach möglichen Fortsetzungsbänden von Reihen kommt in fünf Minuten viermal die Frage: "Kann ich das Buch hier haben?" - einmal verbunden mit dem Nachsatz: "Ich würde ja notfalls auch was zahlen." Dass die Bücher Ausstellungsstücke zum Anschauen sind, wollen sie nicht begreifen, denn: "Von dem Buch sind doch genug da." Und: "Wir haben doch Eintritt bezahlt."

Noch absurder denken zwei Mittzwanzigerinnen am Taschen-Stand, wo die kiloschweren Coffeetable-Books auf einem riesengroßen Tisch liegen.
"Was gibt's denn hier?"
"Das sind Monsterbücher."
"Oh guck mal, das hier sieht gut aus. Das nehmen wir mit."
"Meinst du, die sind zum Mitnehmen"?
"Na, die liegen doch schon im Stapel da. Aber das ist viel zu schwer, das schlepp ich nicht noch den ganzen Nachmittag mit rum."
"Da würd' außerdem die Tüte reißen. Komm, lass' uns weitergehn."

Die Krone setzen dann zwei junge Männer am Filu-Stand auf, den die Illustratoren dekorativ gestaltet haben, unter anderem auch mit zwei Meter hohen "Bleistiften" aus Pappe. Im Gespräch mit einer Filu-Mitarbeiterin merke ich, dass sich ihre Augen zu weiten beginnen und im selben Moment eine Kollegin ruft: "Halt! Stehenlassen! Das gehört doch zum Stand!" Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie die beiden jungen Männer einen Zweimeter-Bleistift schnell wieder in die Vertikale rücken und rasch das Weite suchen. Noch Fragen?