Rund 100 eintrittsfreie Lesungen für ein literaturaffines Buchpublikum – mit diesem lockenden Versprechen eröffnete Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth feierlich die Lesereihe Open Books traditionell im Frankfurter Schauspiel mit Blick auf die vom Occupy-Portestcamp geräumte EZB. Der Ausblick auf das Bankenviertel passte nicht nur auf die Ex-Bankerin und Sachbuchautorin Susanne Schmidt ("Das Gesetz der Krise. Wie die Banken die Politik regieren"). Mit Ursula Krechel und Bodo Kirchhoff wurden zwei tief mit Frankfurt verwurzelte Autoren Talk-Gäste ganz unterschiedlichen Formats zu Werbeträgern für das Lesen.
Wolfgang Herles geschickten Fragen führten zu einem gleichermaßen rasanten und geistreichen Schlagabtausch mit der Trägerin des Deutschen Buchpreises: Herles: "Sie haben unwahrscheinlich viel Zeit in Archiven für ihren Roman 'Landgericht' verbracht … " Krechel: "Ich bin nicht spinnwebenbedeckt aus den Archiven gekommen. Weil ich selektiv lesen und gezielt fragen konnte, habe ich nur zwei Wochen lang Archive besucht" … Herles: "Wieso eigentlich dieser Roman? Das Thema Nachkriegsdeutschland ist doch aufgearbeitet und füllt ganze Bibliotheken" … Krechel: "Das Thema Remigration ist neu! Es sind vor allem junge Historiker, die nun erstmals Akteneinsicht erlangen können und sich erstmals detailliert mit dem Sachverhalt auseinandersetzen können!"
Dagegen wirkte das Gespräch zwischen Marie Sagenschneider und Jenny Erpenbeck ("Aller Tage Abend") beinahe schon bieder. Erpenbeck gelang es dennoch, Interesse für ihr neues Buch zu wecken, das von fünf Leben mit (tragischen) Wendepunkten handelt. Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Schicksale ist der Tod – im Laufe eines Jahrhunderts. Die Hauptfigur in ihrem literarischen Spiel bleibt, so der Clou, die gleiche.
Als großes Thema des Abends kann die Erschütterung der bürgerlichen Existenz gelten: Vom Schicksal des rachedürstenden Nachkriegsremigranten bei Ursula Krechel, der Bankenkrise bei Susanne Schmidt, über die zerstörerische Kraft der Liebe bei Bodo Kirchhoff bis hin zu 3.000 Kilometer währenden Selbstfindung eines Philosophieprofessors, "dessen bürgerliches Leben auseinanderfliegt" bei Stephan Thome (Fliehkräfte).
Bleibt zu hoffen, dass Open Books auch in diesem Jahr dazu beiträgt, wie Kulturdezernent Felix Semmelroth es ausdrückte, "dass die Zuhörer der Lesungen rund um den Römerberg mit anderen Ohren an die Verlagsstände herantreten und in die Buchhandlungen gehen, um im Idealfall gleich mehrere Bücher einzukaufen." Im Römer, Kunstverein, Haus am Dom, dem Literaturhaus, der Evangelischen Stadtakademie und erstmals in der neuen Adresse des Börsenvereins – dem Haus des Buches in der Braubachstraße – werden sie Gelegenheit haben, die Raison d’être für das Lesen zu spüren, wie Semmelroth es ausdrückte.
Das Programm von Open Books, das an allen Veranstaltungsorten ausliegt, gibt es auch hier online.