Verteufeln Sie nicht Ihren Feind – erinnern Sie sich Ihrer Verbündeten!

23. Juli 2015
von Börsenblatt
"Während der stationäre Handel sich Gedanken macht, wie er gegen Amazon bestehen kann und sich dabei oft darauf beschränkt, den Branchenriesen als Monopol zu verteufeln, verliert er neben seinen Kunden noch einen anderen Verbündeten: den Autor", meint Andreas Séché.
Meistens passiert es, wenn Sie gerade an nichts Böses denken. Dann öffnet sich die Tür Ihrer Buchhandlung, und herein kommt kein Kunde und kein Verlagsvertreter. Sondern ein Autor. Wahrscheinlich regnet es ein bisschen. Schriftsteller lieben solche Sinnbilder. Um sich Ihre Aufmerksamkeit zu sichern, hat er das Buch aller Bücher dabei. Das kann er deshalb so gut beurteilen, weil er es selbst geschrieben hat: ein Werk, wie die Welt es noch nie gesehen hat. Dass auch Sie es noch nie gesehen haben, verwirrt ihn etwas. Zur Behebung dieses Makels drückt er Ihnen das Buch nun in die Hand und sagt dazu irgendetwas sehr Eloquentes, zum Beispiel "Da!". Vermutlich ist er ein wenig peinlich berührt. Sie natürlich auch. Denn plötzlich stehen sich zwei gegenüber, die genau spüren, dass sie wie füreinander geschaffen sind. Und doch wissen sie nicht so recht, was sie sagen sollen. Kurz, der Beginn einer ganz großen Liebe liegt in der Luft. Wird sie sich entfalten?

In den Kommentaren zu den Artikeln hier auf börsenblatt.net schildert eine Autorin, dass sie im Jahr rund 70.000 Bücher verkauft, aber von der Buchhandlung vor Ort ausgelacht wurde, als sie dort eine verlagsbegleitende Buchpremiere vorschlug. Auf die Anregung, über den eigenen Onlineshop der Buchhandlung signierte Exemplare ihrer Bücher anzubieten, hat sie keine Antwort bekommen. Damit hat der Händler gleich zwei Vorteile auf einmal verspielt, mit denen er sich von Amazon hätte abheben können.

Während der stationäre Handel sich Gedanken macht, wie er gegen Amazon bestehen kann und sich dabei oft darauf beschränkt, den Branchenriesen einfach als Monopol zu verteufeln, verliert er neben seinen Kunden noch einen anderen Verbündeten: den Autor. Aus Autorensicht baut Amazon mit seinen neuen Möglichkeiten nämlich kein Monopol auf – sondern ab. Wenn die Verbreitungskette Verlag-Handel 90 Prozent der Einnahmen für sich beansprucht, aber manchmal nur wenig Gegenleistung erbringt, dann wirft das in Zeiten alternativer Modelle Fragen auf. Eigentlich wollen viele Autoren den stationären Buchhandel (und die Verlage) mit einbinden. Aber wer auf Tauchstation geht, den kann man nur schwer mit ins Boot nehmen. Deshalb: Schimpfen Sie nicht auf Amazon. Sich selbst aufzuwerten, indem man andere abwertet, das wird nichts. Verteufeln Sie nicht Ihren Feind – erinnern Sie sich Ihrer Verbündeten!

Dazu zählen auch die kleineren Verlage und die weniger bekannten Autoren. Und die wünschen sich vom stationären Handel als Mehrwert gegenüber Amazon dasselbe wie die Kunden:

  • den Schatzgräber: Er sortiert nicht gleich im Eingang dem Kunden PR-Quatsch vor die Nase, den der auch ohne seinen Händler längst zur Kenntnis genommen hat. Er zeigt nicht direkt an der Tür: Hier gibt’s, was es überall gibt; wir haben gar nicht "sortiert" – wir sind eigentlich wie Amazon. Wenn die Kunden ohnehin wegen der nächsten Sexschattierungen kommen, nehmen sie das Buch auch mit, wenn es hinten im Laden liegt. Auf dem Weg dorthin sehen sie, dass es auch noch andere Bücher gibt, in denen die Protagonisten frei von Kabelbindern, fremdenfeindlichen Thesen und dentalen Extravaganzen sind. Wofür der stationäre Buchhändler auch die kleinen Verlage und die nicht so bekannten Autoren gut gebrauchen kann. Das gilt übrigens auch für soziale Netzwerke. Wenn dort Dutzende Buchhandlungen den neuen Rowlingroman empfehlen, bevor er erschienen ist und ohne dass sie ihn gelesen haben, weiß der Kunde, dass man ihm etwas andrehen will, was nicht ihm, sondern dem Händler nützt. Das ist so unglaubwürdig wie gekaufte Amazon-Rezensionen
  • den Veranstalter: Man kann den Promi-Schriftsteller einladen – aber auch mal fürs gleiche Geld vier Lesungen mit nicht so bekannten Autoren machen. Lauschige Atmosphäre, signierte Bücher, Gespräche – nichts davon gibt es bei Amazon. Und alle profitieren: die Autoren, die Händler, die Verlage. Und die Leser.

Manche Buchhandlungen tun das. Die, für die ein Schriftsteller nicht erst ab einem bestimmten Nutzwert ein akzeptabler Gesprächspartner ist. Leider sind es viel zu wenige, um alternative Wege vom Autor zum Leser außer Acht zu lassen. Wenn das nächste Mal einer von diesen Autoren in Ihre Buchhandlung kommt und wieder die Liebe in der Luft liegt: Lassen Sie sie nicht dort, denn dann verpufft sie. Greifen Sie sie auf!