Shortlist-Autoren im Literaturhaus Frankfurt

Buchstaben in Reizwäsche

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Zum achten Mal wird im Oktober der Deutsche Buchpreis für den besten Roman vergeben. Sechs Bücher, die Shortlist-Titel, stehen noch zur Auswahl, vier von ihnen konnte das Publikum gestern im ausverkauften Frankfurter Literaturhaus näher kennenlernen.

Vielleicht wird der Satz von der Unmöglichkeit, den einen besten Roman auszuwählen, nirgends so gut illustriert wie an diesem Abend. Ihren Auftritt haben schließlich ganz unterschiedliche Bücher – verschiedene Themen, Schreibweisen, Helden. Hinzu kommt – und das macht nicht zum geringsten Teil den Reiz aus –, dass die Schriftsteller selbst in Lesung und Gespräch zu erleben sind, ihre Präsenz und Eloquenz bewertet werden können – wer dabei wie abschneidet, ist nicht zuletzt abhängig vom Blick des Beobachters.

Stephan Thome, dessen zweiter Roman „Fliehkräfte“ einen Philosophieprofessor auf eine Reise durch halb Europa schickt und vielen als Favorit für den Preis gilt, bekannte mit schöner Offenheit, was er aus den größtenteils euphorischen Kritiken seines Debüts „Grenzgang“ gelernt habe: „Vor allem die Dialoge wurden damals gelobt. Voilà, jetzt gibt es noch mehr davon.“ Und auf das Bonmot seines Helden „Prinzipientreue  ist die Tofuwurst unter den Tugenden. Fleischlos und fade.“ (S. 139) habe er „abends einen getrunken“.

Der Autor, über dessen grandiosen Einfallsreichtum man auch bei der Lektüre seines neuen Romans immer wieder bewundernd staunt, ist auch im Gespräch ein großer Unterhaltungskünstler. Fledermäuse erscheinen Clemens Setz wie „fliegende Schnurrbärte“. Und wirken Vogelschwärme nicht tatsächlich wie „Bildschirmschoner am Himmel“? Der unter Genieverdacht stehende Österreicher, der in „Indigo“ von Kindern erzählt, die an einer Krankheit leiden, die jede Nähe zu ihnen unmöglich macht, erklärt seine Poetologie so: „Ich möchte meine Figuren nicht dafür bestrafen, dass ich sie erfunden habe.“ Stattdessen versuche er, ihnen „eine gute Anwesenheit“ zu schaffen. Gestalterisch hat dafür die Autorin Judith Schalansky gesorgt. Einige Seiten sind in Frakturschrift gedruckt – „Buchstaben in Reizwäsche“ nennt das Setz.

Einen Mann vom Format eines Michael Kohlhaas hat Ursula Krechel zum Helden ihres Romans „Landgericht“ gemacht. Erfunden aber hat die Autorin dabei so wenig wie möglich, sondern sich bemüht, möglichst authentisch von der Rückkehr eines durch die Nationalsozialisten ins Exil gezwungenen Juristen zu erzählen. Einen wie Richard Kornitzer hat es also tatsächlich gegeben. „Es käme mir unangemessen vor, ihm Dinge anzudichten“, sagte Krechel. „Wie hat jemand geschrieben, mit welchen Emotionen – das möchte ich nicht erfinden.“

Ulf Erdmann Ziegler ließ wissen, dass er „B-Literatur“ (Armistead Maupin), aber keinen „Trash“ liest, sein Jurastudium abgebrochen und im Getränkehandel gearbeitet hat. Zum Schluss beschied er launig, dass aus seinem Roman „Nichts Weißes“ – wenn nicht im Oktober mit dem Deutschen Buchpreis prämiert – zumindest eine Fernsehserie werden müsse.

 

Der Abend im Literaturhaus lädt ein zum Vergleich, indem er Anhaltspunkte gibt für die Bewertung ganz unterschiedlicher Romane. Jeder kann und wird danach seine persönliche Rangfolge aufstellen. Nicht vergessen sollte man dabei jedoch die ebenfalls nominierten Bücher von Ernst Augustin, „Robinsons blaues Haus“, und Wolfgang Herrndorf, „Sand“. Am Ende bleibt nur: selbst lesen.