Interview

Was bedeutet Gamifikation?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Duden geht mit der Quiz-App "Gegen die Zeit" auf den iTunes-Spielemarkt. Nur ein Beispiel, wie Verlage Spielelemente in spielfremden Kontext einsetzen. Hintergründe zum Thema "Gamifikation" von Christoph Kolb, kreativer Geschäftsführer bei der Kölner Agentur widjet.

Gamifikation rangiert unter den Buzzwords im Marketing ganz oben. Was versteht man genau darunter?
Gamifikation hat seinen Ursprung in der Wissenschaft. In Psychologie und Spieltheorie hat man Ansatzpunkte gefunden, spieltypische Elemente und Prozesse in spielfremdem Kontext anzuwenden, um Motivation und Kundenbindung zu steigern. Ein gutes Beispiel, auch wenn es nie unter "Gamifikation" geführt wurde, ist das Treppen-Piano von VW: Der Autobauer hat eine U-Bahn-Treppe als Klavier umfunktioniert, beim Hochlaufen spielte man also eine Melodie. Die Idee dahinter: Weil es Spaß macht, verzichten die Menschen auf die bequeme Rolltreppe und kommen so zu ihrer täglichen Dosis Bewegung. Das Konzept ist aufgegangen.

Die Marketingwelt freut sich: Mit Gamifikation kann sie passive Nutzer aus der Reserve locken und die Conversion Rate optimieren. Was sind typische Stolperfallen?

Viele denken beim Thema Gamifikation gleich an Highscores, Quests, Ranglisten, Fortschrittsbalken, virtuelle Güter oder Auszeichungen. Dieser Fokus auf einfach verständliche Konstrukte ist zwar nachvollziehbar, aber falsch. In Zentrum stehen nicht irgendwelche Tools. Man sollte solche Elemente nicht einem bestehenden Prozess aufpfropfen. Stattdessen steht am Anfang die Frage: Was an meinem Prozess ist bereits jetzt als Spiel zu verstehen? Wie kann ich hier ansetzen und verstärken? Ein zweiter wichtiger Punkt: Man kann schlechte Prozesse durch Spielelemente nicht zu guten  machen. Wenn es den Kunden nervt, dass er acht Schritte bis zum Online-Kauf braucht und nicht nur drei, dann sollte man daran arbeiten. Ohne diese Hygiene in der eigenen Interaktion mit dem Kunden zu betreiben, sollte man gar nicht erst mit Gamifikation anfangen.

Auf welche bereits vorhandenen spielerischen Elemente könnte man in einem Online-Shop aufsetzen?
Bei einem Einkauf ist vor allem das soziale Spiel immer vorhanden: Mit meinen Kauf erstrebe ich unter anderem Prestige und Meinungsführerschaft. Ranglisten existieren also schon implizit, die Kunden bewegen sich intuitiv in diesem Spiel. Man identifiziert sich durch seine gekauften Produkte und Dienstleistungen. Man ordnet sich bestimmten Gruppen zu und grenzt sich gegenüber anderen ab. Ich würde sagen, dass Themen wie Kleidung, Hobby, Gesundheit oder Ökologie zum größten Teil identitäts- und spielgetrieben konsumiert werden und weniger bedarfsorientiert. Gamifikation greift diese intrinsische Motivation auf und setzt nicht auf äußere Reize.

Ein Beispiel?
Nehmen wir einen Bekleidungsshop: Wir könnten hingehen und Treuepunkte einführen. Für jedes Kleidungsstück bekommt der Kunde über Pay Back ein paar digitale “Dollar”. Doch das ist keine elegante Lösung, denn bei monetären Anreizen handelt es  sich um extrinsische Belohnungen. Und je höher die extrinsische Motivation, desto größer auch die Gefahr, dass sie die intrinsische überlagern und zerstören kann. “Ich kaufe hier nur wegen der Vorteile ein; nicht aus Treue und Verbindung zur Marke”. Unser Ansatz beginnt mit der Frage: Welchen Nutzen zieht der Käufer aus seinem Einkauf wirklich? Wie kann man das Gefühl noch verstärken, dass ich mit meinem Kauf z.B. an Prestige hinzugewonnen habe? Man könnte Kunden mit einem besonders hohen Status zeigen, die das gleiche gekauft haben. Oder  dem Kunden vor Augen führen, welchen sozialen Nutzen er aus dem Kauf zieht.

Beim Buchkauf sind Prestige und Meinungsführerschaft ebenfalls wichtige Motivatoren. Wo sehen Sie hier Spielansätze?
Buchcommunities, Leserunden oder Lesecontests gehen in diese Richtung. Problematisch ist nur ihre oftmals empfundene "Fremde". Menschen bewegen nich ganz natürlich in bereits bestehenden, impliziten "Buchclubs". Wir empfehlen, verleihen und führen tiefgehende anschließende Gespräche. Ein wichtiges Spielelement ist hier Feedback: Wir wollen wissen, wie gut oder schlecht unsere Interpretation ist. Wie unser Geschmack in Sachen Büchern sich mit unserem Umfeld misst. Dazu stehen wir im konstanten Austausch mit unserer Umgebung. Diese Motivation kann man als Verlag oder Buchhändler nutzen, indem man den Lesern die Möglichkeit gibt, diese natürlichen Prozesse in Familien und Freundeskreisen noch ausgiebiger auszuleben und für sich zu nutzen.

Haben Sie Tipps für Leute, die sich in das Thema Gamifikation einlesen wollen?
Meiner Meinung nach existiert keine sinnvolle Fachliteratur die sich nur um Gamifikation dreht. Vielmehr sollten Interessierte anfangen sich ernsthaft mit Spielen und positiver Psychologie auseinanderzusetzen. Zum Einstieg empfehle ich Jane McGonigal fabelhaftes Buch – "Reality Is Broken: Why Games Make us Better and How they Can Change the World". Für Fortgeschrittene eignet sich das Standardwerk der digitalen (Spiel-)Welten: Richard A. Bartle – "Designing Virtual Worlds". Hier muss man allerdings Durchhaltevermögen mitbringen. Und zu guter letzt sollte man einfach mehr Spielen. Mit guten Freunden und gutem Gewissen. Gerne unter dem Vorwand der Forschung. Viel Spaß!

Christoph Kolb ist kreativer Geschäftsführer der widjet GmbH aus Köln, eine Agentur für Interaktionsdesign. Er ist darüber hinaus als Dozent für Medienpsychologie an der Hochschule Fresenius in Köln tätig und schreibt als Autor über Design- und Business-Themen.