Kommentar zum Rezensionswesen bei Amazon

Ehrlich währt am längsten

23. Juli 2015
von Börsenblatt
"Wer im stationären Handel eine Empfehlung sucht, kann sich auf ein ehrliches Urteil verlassen", schreibt Börsenblatt-Redakteurin Sabine Schwietert in ihrem Kommentar zu den jüngsten Täuschungsvorfällen bei den Buchempfehlungen des Großhändlers Amazon.
Das Rezensionswesen des Buchgroßhändlers Amazon ist so eine Sache. Einerseits ist es eine schöne Idee, Lesern die Möglichkeit zu geben, ihre Leseerfahrungen zum Nutzen anderer ungefiltert weiterzugeben. Andererseits weckt diese Praxis Begehrlichkeiten. Positive Beurteilungen führen nämlich nicht selten zum direkten Klick auf den Kaufbutton – so viele Sternchen, dermaßen enthusiastische Begeisterung – das Buch will ich auch haben, denkt sich der Leser. Gefakte Rezensionen sind die Folge.

In Großbritannien treiben es derzeit offenbar die Krimiautoren arg: RJ Ellory hat seine Bücher unter verschiedenen Pseudonymen als »moderne Meisterwerke« gelobt, fünf Sterne inklusive. Ganz nebenbei soll er auch noch ein paar Bücher von Kollegen verrissen haben. Und John Locke, laut Amazon der erste Selfpub­lisher, der über das Kindle Direct Publishing Programm die Marke von einer Million verkaufter E-Books geknackt hat, soll gar bei einem Dienstleis­ter 300 Rezensionen in Auftrag gegeben haben. Positive vermutlich. Britische Autoren haben die Praktiken scharf verurteilt. Das miese Geschäft mit den Kundenbewertungen könnte ihnen nämlich gehörig zum Nachteil gereichen.

Profitieren könnte der stationäre Handel. Wer hier eine Empfehlung sucht, kann sich auf ein ehrliches Urteil des Buchhändlers verlassen, denn der muss sich der Ladenkasse wegen nicht für einen bestimmten Titel stark machen, er hat die Wahl. Erfolgreiche Beratung, Verkaufsgespräche, die den Leser mit dem für ihn perfekten Lesestoff nach Hause gehen lassen, gehören nach wie vor zu den Kernkompetenzen der Sortimenter.  Es sind die zufriedenen Kunden, Stammkunden eben, die dem Buchhandel das Überleben sichern. Ein paar gefakte Rezensionen bei Amazon werden die Umsätze des Riesen nicht wesentlich schmälern. Aber einige Buchkäufer könnten auf der Suche nach ehrlichen Empfehlungen auch wieder im Sortiment landen.