Novitäten Neuseeland

Die Kraft der Mythen und Naturkulissen

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Neuseeland hat großartige Erzähler zu bieten – doch bei uns sind die wenigsten davon bekannt. Eine literarische Abenteuerreise durch das Buchmesse-Gastland 2012.

"He iti iti noa iho taku mohio": Dieser Satz steht in Keri Hulmes betörend atmosphärischem Roman "Unter dem Tagmond" und er heißt übersetzt: "Ich verstehe ein wenig." Der Roman der Booker-Prize-Trägerin lässt den Leser in die Sprache und Symbolwelt der Maori eintauchen und hilft dabei, Vergangenheit und Gegenwart Neuseelands besser zu verstehen (S. Fischer, August, 656 S., 15 Euro). Sensibel erzählt Hulme die schicksalhafte Geschichte eines ­Jungen, der nach einem Schiffs­unglück eine neue Art von Familie findet – und zwischen der Welt der Maori und der neuen Welt hin- und herpendelt.

Die zeitgenössischen Autoren Neuseelands setzen sich intensiv mit den Wurzeln ihrer Heimat auseinander, unabhängig davon, ob sie Maori-Vorfahren haben oder nicht. In "Potiki" (Unionsverlag, Juli,
272 S., 10,95 Euro) beschreibt Patricia Grace eindrucksvoll die Präsenz der Mythen – und den Kampf eines ganzen Dorfes mit dem "Dollarmann", der einen Freizeitpark errichten will.

Himmel und Häuptlinge

Aus den Erzählungen der Stammesältesten hat Häuptlingssohn Heretaunga Pat Baker einen Roman gewoben, der vor der Folie archaischer Stammeskriege kurz vor der Ankunft Captain Cooks spielt:  Es geht um Machtkämpfe und die Beziehung zwischen einer Prinzessin und einem Sklaven. "Die letzte Prophezeiung" (352 S., 22,80 Euro) erscheint im Mana-Verlag, ein Spezialist auf dem Gebiet ozeanischer Literatur.

"Rangatira", Häuptling, heißt ein gut recherchierter Roman von Paula Morris. Mit ihrer Hauptfigur, dem adeligen Paratene, fängt Morris das 19. Jahrhundert und die gegensätzlichen Kulturen in Neuseeland ein (Walde + Graf, September, 304 S., 22,95 Euro). Mit unprätentiösem Ton, kraftvollen Figuren und feinfühligen Beobachtungen entfaltet die Halb-Maori einen Sog, der den Leser immer tiefer in die Geschichte hineinzieht. Ebenso poetisch und zugleich schnörkellos erfasst die Lyrikerin Jan Kemp in "Dantes Himmel" die neuseeländische Natur und Kultur; auf der beiliegenden CD ist der stark von der Maori-Kultur beeinflusste Vortrag der Gedichte samt Übersetzung zu hören (VAT, Juli, 140 S., 18,90 Euro).

Klassiker Down Under

Katherine Mansfield ist eine absolute Ausnahmeerscheinung – und die wohl bekannteste neuseeländische Schriftstellerin. Diogenes bringt "Sämtliche Erzählungen" in zwei Bänden heraus (August, 1 000 S., 45,90 Euro), Schöffling publiziert Liebesbriefe und Tagebuchaufzeichnungen ("Über die Liebe", August, 144 S., 14,95 Euro).

Zu den großen Literaten des Landes gehört auch die 2004 verstorbene Janet Frame. Ihr packender Roman "Wenn Eulen schrein" verbindet das Drama einer Familie mit sozialen Konflikten. Er erscheint mit zwei weiteren Frame-Werken im September als Sonderedition zu 39,95 Euro bei C. H. Beck (Einzel­titel: 288 S., 19,95 Euro).

Ebenfalls ein Klassiker ist David Ballantynes "Sidney Bridge Upside Down", 1968 in Neuseeland erschienen (Hoffmann und Campe, 320 S., 19,99 Euro). Erzählt wird von einer Kindheit am Rande der Welt, von einem Sommer, der für zwei Brüder alles verändert. Schon nach dem ­ersten Absatz lässt die Geschichte des jungen Ich-Erzählers den Leser nicht mehr los. Harry reflektiert sein Leben, melancholisch, witzig, nüchtern – spannend wie ein Thriller, aufwühlend wie ein Entwicklungsroman und für das deutsche Publikum sicher eine große Entdeckung von Down Under.

Der Klassikerreigen wird fortgesetzt von Anthony McCarten, der im September mit "Ganz normale Helden" (Diogenes, 454 S., 22,90 Euro) erneut einen fulminanten Roman vorlegt. Virtuos entlarvt er durch Perspektivwechsel scheinbare Gewissheiten und bespiegelt die aus seinem Roman "Superhero" bekannte Familie Delp. Nach dem Krebstod des jüngeren Bruders ist der 18-jährige Jeff von zu Hause abgehauen. Dem verzweifelten Vater Jim gelingt eine Annäherung nur durch die ihm fremde Welt eines Onlinespiels – während sich seine Frau im Chat verliebt und verliert.

Mit ungewohnten Perspektiven überrascht auch C. K. Stead in "Mein Name war Judas" (Eichborn, September, 304 S., 19,99 Euro): Der 70-jährige Judas Iskarioth lässt sein Leben Revue passieren, erinnert sich an die Jugend mit Jesus und zeigt Interpretationsmöglichkeiten jenseits der biblischen Darstellungen.

Auch Heldinnen kommen in Neuseeland keineswegs zu kurz. Für die Hauptfigur in Emily Perkins’ leisem Familienroman über "Die Forrests" (Berlin Verlag, September, 400 S., 19,99 Euro) verläuft das Leben weitgehend unspektakulär – äußerlich. Erste und späte Liebe, Jobwechsel, Ehe, Kinder, Haushalt: Perkins beobachtet ihre Heldin auf allen Stationen ihres vermeintlich unspektakulären Alltags, in dem es letztlich immer um eines geht: die Frage, was für sie noch kommt – und wer bleibt.

Das Leben von Ines hingegen, zentrale Figur in Lloyd Jones’ "Die Frau im blauen Mantel" (Rowohlt, 336 S., 19,95 Euro), wird von Zufällen bestimmt, die sie ihren Körper verkaufen lassen und ihr den Sohn nehmen. Auf der Suche nach dem verlorenen Kind macht sich die Afrikanerin auf eine gefährliche Reise nach Europa. Jones entwirft eine Art Vexierbild des Lebens, wortgewaltig und berührend.

Spannung mit Abgründen

Die Krimi-Abteilung wartet mit einem vielversprechenden Debüt auf: Alix Boscos "Cut & Run – Nichts wie weg" (Ars Vivendi, Juli, 350 S., 18,90 Euro). Der Psychothriller beginnt mit einem Mord – Rugby-Star Alex Solona wird erschossen, während er eine schöne Berühmtheit verführt. Weil er dabei eine Menge Crystal im Blut hat, scheint ein Ende durch missglückte Drogengeschäfte nahezuliegen, doch es kommt noch düsterer: Anna Markunas, Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, soll für die Verteidigung das Leben des Hauptverdächtigen ausleuchten, und rutscht in Abgründe – auch ihrer eigenen Vergangenheit.

Paul Cleave dagegen veröffentlicht im Oktober bereits seinen sechsten Fall: "Das Haus des Todes" (Heyne, 560 S., 9,99 Euro), bei dem es um die Verfehlungen und Triebe von Caleb Cole aus Christchurch geht. Cleaves Krimis sind durchkomponiert, nervenaufreibend und temporeich. Drei gute, aber bei Weitem nicht die einzigen Gründe, um die Leselandschaft down under zu erkunden.

Noch mehr Bücher aus und über Neuseeland

Anthologien
➤ Christiane Freudenstein (Hrsg.): Neuseeland erzählt. Vom anderen Ende der Welt. S. Fischer, August, 320 S., 12 Euro
➤ Bill Manhire (Hrsg.): Ein anderes Land. Short Storys aus Neuseeland. dtv, Oktober, 288 S., 9,90 Euro
Neuseeland-Literatur-Kollektion. Mana-Verlag, 6 Bde., September, 2  000 S., 89,80 Euro
Wildes Licht - Gedichte aus Aotearoa Neuseeland. Tranzlit, 178 S., 25 Euro. Ge- dichte von 51 neuseeländischen Lyrikern.

Kinder- und Jugendbücher
➤ Brian Falkner: Der Tomorrow-Code. dtv, Oktober, 416 S., 8,95 Euro. Thriller: Tane und Rebecca versuchen, ein Massensterben zu verhindern.
➤ Esther Glen: Wir sechs aus Neuseeland. Susanna Rieder Verlag, August, 250 S., 14,90 Euro. Jugendbuchklassiker von 1917: Sechs Stadtkinder leben ein Jahr auf einer Farm – humorvoller Kulturschock.
➤ Stacy Gregg: Georgies schönster Sieg. Lily Gardens, Reitinternat der Träume, Bd. 4. Egmont, 288 S., 7,99 Euro.
Georgie muss sich entscheiden: für ihren Freund oder die Chance bei einem arroganten Springstar.
➤ Colin Wilson: The Losers 5: Endspiel. Panini, 172 S., 19,95 Euro.
Hochspannende Graphic Novel: Höhepunkt der Action-Serie – Ex-CIA-Mann will die Welt aus den Angeln heben.