Die Sonntagsfrage

Ich träume von Paris

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Buchhändlerin Lisa Hübscher (23) aus Mülheim an der Ruhr packt gerade die Koffer aus: Für drei Monate war sie Praktikantin in einer französischen Buchhandlung. Sie war eine von zehn deutschen Tandempartnern des Austauschprogramms der Frankfurter Buchmesse. Das Programm geht nun in eine neue Runde (Bewerbungsfrist 31. Juli). Was Lisa Hübscher erlebt hat, hat sie für uns aufgeschrieben.

Schon zu Beginn meiner Ausbildung habe ich mir das Infoblatt zum deutsch-französischen Austauschprogramm (für Jungbuchhändler und Jungverlagsmenschen) in mein Fach gelegt. Nach meiner Ausbildung habe ich noch ein Jahr gearbeitet und mich sobald es möglich war beworben. Und dann ging es los, das Warten und Hoffen und Träumen ... aber auch die kleine Traurigkeit – denn weggehen heißt ja immerhin weggehen und das fiel mir bei meinen Kolleginnen nicht leicht! Aber Abenteuer muss sein: Ich hatte Glück und bekam eine Einladung zum Vorstellungsgespräch (erst auf Deutsch, dann auf Französisch) bei der Frankfurter Buchmesse. So fuhr ich also nach Frankfurt, aufgeregt und etwas aufgebrezelt (mit Blazer und Pumps, sehr schick und geschäftlich) mit dem Zug am Rhein entlang, was auf mich eine wundersam beruhigende Wirkung hatte! Anscheinend hat es ganz gut geklappt, denn kurze Zeit später war es wahr: Vier Monate Paris.

Tandemkurs
Naja, eigentlich es waren jetzt nicht ganz vier Monate, denn vorher trifft man sich für den Vorbereitungskurs, was so viel heißt wie: 20 Menschen mit Buchaffinität verbringen zwei Wochen zusammen (eine in Frankreich und eine in Deutschland) um sich gegenseitig auf den Aufenthalt  im jeweils anderen Land vorzubereiten und einander zu helfen: in alltäglichen Fragen, im Sprechen und natürlich rund um Fragen zum Buch. Der Tandemkurs hat mir unheimlich geholfen, was ich so nicht erwartet hätte! Trotzdem war mein Hirn anfänglich so sehr mit Arbeiten beschäftigt, dass ich abends, nach der Arbeit, wie erschossen danieder sank und in den ersten Wochen gar nicht die Wahnsinnsstadt um mich erkunden konnte.


In der Metzgerei
Dann sollte ich also in einer Buchhandlung arbeiten, die sich direkt am „Place Monge“ angesiedelt hat: Schon vor fünfzehn Jahren hat  Jean-Paul Collet „La Boucherie“ (übersetzt „Die Metzgerei“) gegründet, was anfänglich vielleicht ein bisschen komisch erscheint, aber dadurch erklärt werden kann, dass die alten Ladenschilder von Paris (oder ganz Frankreich, ich bin nicht ganz sicher...) denkmalgeschützt sind und erhalten werden müssen. So wird aus einer Buchhandlung dann eben mal eine Metzgerei. Vor etwas mehr als einem Jahr kam dann sogar noch eine kleine Metzgerei (also Buchhandlung) dazu, was natürlich meint, Monsieur Collet hat eine zweite Buchhandlung eröffnet, nur für Kinder- und Jugendbücher, unter dem Namen „La Petite Boucherie“.  So fing ich also an in zwei Metzgereien zu arbeiten, als Vegetarierin ...
Lustigerweise war schon meine Buchhandlung in Mülheim an der Ruhr in dem Ladenlokal einer ehemaligen Metzgerei untergebracht. Scheint wohl mein Schicksal zu sein … sollte mir das zu denken geben?
Die Arbeit in der Buchhandlung ist in vielen Dingen natürlich genauso wie in Deutschland. Bücherverkaufen an sich verändert sich ja nicht wirklich. Was sich aber ändert, ist das ganze Drumherum: Die Abläufe, die Warenwirtschaft und natürlich vor allem natürlich die Sprache!


Praktikantenarbeit
So fristete ich meine ersten Wochen mit echten Praktikantinnenaufgaben: mal eben alle ISB-Nummern einer Lieferung per Hand eintippen und Warengruppen zuordnen, Rechnungen kontrollieren, Karten auffüllen. Zwar wurde alles erklärt, aber eben immer nur ein kleiner Teil, so dass es dauerte, bis ich endlich anfangen konnte sinnvoll und vor allem zufrieden zu arbeiten. Denn das, was mir an unserem Beruf am meisten gefällt, ist natürlich das Bücher-Empfehlen und dass die Kunden glücklich und gespannt mit ihrem Buch nach Hause gehen. Irgendwann, nach einem wie gesagt nicht immer leichten Auftakt, bekam ich schließlich einen eigenen Schlüssel und konnte mich eigenverantwortlich um die Buchhandlung kümmern: Aufschließen, dekorieren, Kunden betreuen, Kasse, alles aufräumen und hegen und pflegen. Da fing es dann auch wieder an, richtig Spaß zu machen, denn ich bekam Verantwortung.

Pariser Eigenarten
Neben diversen Kundeneigenarten gibt es noch andere Dinge, die mir in Frankreich aufgefallen sind, zum Beispiel dass die Neuerscheinungen zwar im großen Format erscheinen aber nicht gebunden sind! Dabei kosten sie durchschnittlich genau so viel wie in Deutschland. Außerdem war ich über die Maßen erstaunt, als ich feststellte, dass die Greg-Tagebücher hier so gut wie gar nicht verkauft werden! Noch eine Andersartigkeit ist, dass wir in Deutschland ja ziemlich verwöhnt sind was die Lieferzeiten angeht. Wie ich die Barsortimente vermisse! Darum wird gekauft, was da ist, fast wie beim Titel von Dieter Moor: „Was wir nicht haben, brauchen Sie nicht.“


Und die Moral von der Geschicht‘?
Ich bin ehrlich gesagt selber total überrascht, dass das Praktikum schon zu Ende sein soll. So ist das wohl: Wenn man eine Routine hat, fliegt alles an einem vorbei und plötzlich sind drei ganze Monate weg. Immerhin, ich habe ich viel mitgenommen. Mein Französisch hat sich sehr verbessert, auch wenn es noch lange nicht perfekt ist! Ich habe zu einem kleinen Teil die Stadt erkundet, ich habe tatsächlich zum ersten Mal eine Bewerbung um eine echte Stelle abzugeben (ein Erlebnisbericht erster Klasse :) und ich habe wichtige Entscheidungen für die Zukunft getroffen. Man könnte also fast sagen, ich bin ein bisschen erwachsener geworden. Ich persönlich merke ja noch nichts davon, aber ich habe von der ein oder anderen Tante so etwas in der Art vernommen. (Wie gut, dass es Tanten gibt die einen auf das eigene Erwachsenwerden hinweisen können!)

Und Paris? Paris ist dreckig, stressig und stinkt - aber eine tolle, multikulturelle Stadt zum leben! Mit dem französischen Buchhandel ist es ein bisschen so wie mit Paris: Alles ein bisschen chaotisch, aber  trotzdem bin ich einfach nur froh, da gewesen zu sein! Außerdem darf ich behaupten, nun mindestens zwei Französinnen zu meinen Freunden zählen zu können, was für ein Glück! Denn Freunde zu finden ist schwer, aber wenn man auch nur einen gefunden hat, wird ein Ort direkt zu einem Zuhause!