Gastspiel

Zwei Tränen im Café

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Warum der Salzburger Verleger Jochen Jung beim Bäcker doch lieber bezahlt hat, anstatt die Croissants einfach frech mitzunehmen, erklärt er in seinem Gastspiel.

Gerade bin ich bei meinem Lieblingsbäcker vorbeigegangen und hab durchs Schaufenster seine Croissants im Regal liegen gesehen, die die besten in der Stadt sind, und weil er auch eine hübsche kleine Caféecke eingerichtet hat, hab ich mich hingesetzt, zwei Croissants und eine Melange bestellt und dabei gedacht: Was wäre, wenn ich hineingegangen wäre, mir zwei der leckeren Dinger gegriffen und dem Bäckermeister gesagt hätte: Ich brauch die jetzt, das sind Lebensmittel, die kannst du mir nicht vorenthalten, also her damit.

Aber ich traute mich natürlich nicht, und 20 Minuten später hatte ich alles brav bezahlt. Und während ich da saß, habe ich über die beiden Tränen nachgedacht, die ich kürzlich vergossen habe. Die eine war mir gekommen, während ich die Rede las, die Michael Krüger bei den Buchtagen in Berlin gehalten hat, einmal weil es eine schöne und leidenschaftliche Rede war, hinter der ein ganzer Kerl stand, und dann weil er etwas verteidigt hat, von dem ich früher einmal gedacht hatte, dass man das in unserer Branche gar nicht verteidigen muss: die Vorstellung von Arbeit, Leistung, Gerechtigkeit, anders gesagt, von Kultur.

Und dann die andere Träne: die war mir heruntergerollt, als ich zwei Tage später las, wie in den großen deutschen Zeitungen dazu geschrieben wurde, von vermutlich ordentlich bezahlten Redakteuren, und ich musste feststellen, was ich nun schon seit Längerem feststelle, dass nämlich diese Auch-Autoren eine heillose Angst davor zu haben scheinen, irgendeinen Anschluss zu verpassen, und da ist dann einer wie Krüger aus dem vorigen Jahrhundert. Und nachdem ich dann noch die Kommentare auf so mancher Online-Seite gelesen hatte, völlig entgeistert über die frettchenhafte Aggressivität, die unter Buchmenschen möglich ist, da dachte ich an unsere schöne deutsche Sprache, die da für alles herhalten muss, und wie sie geworden ist, was sie heute ist.
 
Und was sagte mir die Kluge? Dass sie sich durch Grenzüberschreitungen entwickelt hat, durch Fremdes, das dann Eigenes wurde, durch Regelverletzungen, die dann verbindlich wurden, durch Fehler, die der Gebrauch sanktioniert hat. So blieb die Sprache lebendig, und so wurde aus dem Althochdeutschen am Ende das Neudeutsch unserer Tage. Natürlich ist der Duden nicht das Bürgerliche Gesetzbuch, das Missachten von Sprachregeln ist nicht dasselbe wie das Missachten von Gesetzen und Übereinkünften, aber ein Spiegel des Contrat social sind sie beide.
 
Niemandem wird etwas vorenthalten nur dadurch, dass er dafür bezahlen muss. Auch die mit der Augenklappe werden sich bei aller Einäugigkeit nicht als Sozialfall sehen wollen. Unser gesellschaftliches Gefüge beruht darauf, dass Leistung kostet. Das ist Grundrecht und Grundverpflichtung zugleich. Diese Kosten für den Urheber und für den Kunden möglichst günstig zu halten, ist in unserer Gesellschaft immer noch Sache des Marktes und seiner Regularien. Die lassen sich ändern, und das wird auch mit Fantasie und Geschick betrieben werden.

Dem Bäcker hab ich übrigens auch ein Trinkgeld gegeben, denn ich bin ihm dankbar, dass er noch mit feinem Mehl und guter Butter backt.

Jochen Jung