Gastspiel

Die Revolution abblasen!

26. Februar 2015
von Börsenblatt
Die öffentliche Diskussion über das Urheberrecht hat keine Relevanz mehr. Meint Matthias Ulmer.

Die Debatte über das Urheberrecht hat einen Punkt erreicht, an dem sich einige Gedanken über die Diskussion als solche geradezu aufdrängen. Steht hier wirklich die Netzgemeinde den Kulturschaffenden, der Kultur- und Medienindustrie und klassischen Bildungsbürgern gegenüber? Nein, denn es gibt keine Netzgemeinde. Nahezu alle sind heute auch Internet-User. Und unter diesen gibt es ein paar Prozent, die sich über gemeinsame Ideen als Community verstehen. Diese sind weder in der Realität noch im virtuellen Raum eine Mehrheit. Sie sind nicht mehr als eine "Lautheit" in den Blogs.

Jede "Glaubensgemeinschaft" hat ihre Ideologie, ihr Sendungsbewusstsein und ihre Intoleranz, die insbesondere dadurch geprägt ist, dass der Weltuntergang nur dann abzuwenden ist, wenn man ihren Lehren folgt. Und jede dieser Glaubensgemeinschaften muss in der pluralen Gesellschaft mühsam anerzogen bekommen, dass ohne Toleranz den anderen gegenüber auch sie selbst keine Toleranz von der Gesellschaft erwarten kann.

Bei jeder Revolution war es so, dass es mit einigen Freaks begann, dann wurde ein Lebensgefühl und eine Bewegung daraus. Dann wollten sie die Welt verändern und machten eine Revolution. Dann verfingen sie sich in der pluralen Gesellschaft, lernten die Realität kennen und wurden erwachsen. Und dann hatten sie sich im Spektrum der Pluralität als Alltag etabliert und wurden vom nächsten Trend als arrivierte alte Säcke angesehen. Wir sind gerade an dem Punkt, wo die Revolution abgeblasen werden muss und die Integration in den Alltag erfolgt. Dass wir uns dennoch die nächsten 20 Jahre die alten Spontisprüche anhören müssen, das ist eben so, von jeder Revolution bleiben ein paar übrig, die den Sprung aus dem Lebensgefühl in den Alltag nicht schaffen. Auch das verziert eine Gesellschaft.

Warum aber hat die ganze öffentliche Diskussion keine inhaltliche Relevanz mehr? Warum stehen im Urheberrecht unbestritten eine Reihe wichtiger, aber schwieriger Fragen zur Klärung an, und der Schlagabtausch in den Medien ist trotzdem von einer erschütternden Banalität und Oberflächlichkeit? Die Niederungen der Sach- und Detailarbeit sind eben bei Weitem nicht so spannend und unterhaltsam wie die Oberflächen des öffentlichen Schlagabtauschs. Hinter den Forderungen, endlich einen Schritt nach vorne zu tun, abzurüsten, verbirgt sich bewusst oder unbewusst nichts mehr als die Furcht, ernst genommen zu werden.

Frei nach Luhmann: Kommunikation stirbt, wenn die Kette abreißt. Und sie reißt ab, wenn man sich nicht weiter aufregen kann. Als Stuttgart-21-Beobachter kennt man das aus nächster Nähe. Es geht gar nicht um den Gegenstand. Es geht viel mehr darum, dass Gruppen plötzlich zusammenfinden, sich unter einem Slogan integrieren, sich erst als Gemeinschaft wahrnehmen, um dann plötzlich sich selbst als Teil dieser Gemeinschaft sehen. Das hat den Autoren seit Jahren gefehlt, der Moment, in dem sie feststellen, dass sie nicht alleine sind und dass sie Gemeinsamkeiten haben. Das schweißt auch unsere Branche immer wieder zusammen, sei es im gemeinsamen Kampf um Preisbindung, Mehrwertsteuer oder Urheberrecht.

Die Lobbyarbeiter im Verband wissen vermutlich um die zwei Ebenen der Kommunikation: die Sachebene mit der Politik, den anderen Verbänden, den Sachverständigen – und die Oberfläche des öffentlichen Diskurses. Und während sie mit Sorgfalt und Kompetenz ihrer Arbeit auf der Sachebene nachgehen, werden sie an der Oberfläche nicht nur in den Medien, sondern auch von den eigenen Mitgliedern grün und blau geschlagen. Sie müssen die Schläge aushalten, weil sie das Ritual kennen, und hoffen, dass die Verbandsmitglieder irgendwann, spätestens wenn die Verhandlungen auf der Sachebene zu Ergebnissen geführt haben, diese honorieren, zufrieden murmeln: warum nicht gleich so, und mit Prügeln aufhören. Es gibt keinen Lohn da draußen für die Hauptamtlichen eines Verbands. Wir bezahlen sie mit unseren Beiträgen, das muss reichen.