Die Sonntagsfrage

"Wir leben im Zeitalter von Rationalität und Coolness. Kann Literatur heute noch eine Schule des Gefühls sein?"

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Kann uns Literatur heute noch etwas über Gefühle lehren? Das Literaturfestival literaTurm, das am 2. Mai in Frankfurt eröffnet wird und dieses Jahr die gesamte Rhein-Main-Region einbezieht, präsentiert unter dem Motto "Lakonie und Leidenschaft" ein breites Spektrum an erzählerischen Gefühlswelten. Sonja Vandenrath, Leiterin und Programmmacherin des Literaturfestivals, antwortet auf die Sonntagsfrage.
"Wir leben aber auch in Zeiten eines emotionalen Kapitalismus, in dem Gefühle zur Ware und zum Trigger von Fernsehserien und Blockbustern geworden sind. Eine harte Konkurrenz, der sich jeder zeitgenössische Roman stellen muss. Dabei sind die Gefühle der Urstoff der Literatur und Romane sowohl ihr Archiv als auch ihr Erzeuger. Erst seit dem 'Werther' kennen wir den Selbstmord aus enttäuschter Liebe. Wer dagegen die Irrungen und Wirrungen bürgerlicher Liebesbeziehungen kennen lernen will, der liest Jane Austen oder Theodor Fontane. Heute dagegen scheinen die visuellen Medien zum Speicher von Liebe, Hass, Sehnsucht, Melancholie und Begierde geworden zu sein. Ihnen aber fehlt, was nur der Literatur zu eigen ist: dem Chaos der Gefühle eine Sprache zu geben, ohne ihre Unordnung zu begradigen. Es sind Romane, die Gefühle artikulieren, ohne sie zu benennen, und die ihnen eine Physis geben, ohne sie in Schablonen zu zwängen. In Zeiten, in denen Gefühle einer Logik der Extreme folgen, ist die Literatur das Medium ihrer Ambivalenzen, Nuancen und Zwischentöne.
 
Zwischen Lakonie und Emphase bewegen sich die Romane, die wir in diesem Jahr bei literaTurm vorstellen, dem Literaturfestival FrankfurtRhein Main, das sich in diesem Jahr dank der großzügigen Förderung des Kulturfonds Rhein Main auf 12 Tage verlängert und in die Region ausdehnt. Doch bleibt literaTurm das einzige Konzeptfestival Deutschland, dessen Programm ein kuratorisches Konzept zugrundeliegt. Wir wählen unsere 'Positionen', die vorgestellten Romane mithin, allein nach inhaltlichen Kriterien aus und wir legen großen Wert darauf, dass in den Gesprächen mit den Moderatoren, die Frage, wie Autoren über 'Gefühle in Zeiten des Kapitalismus' schreiben, diskutiert wird. Den Ereignischarakter eines Festivals aber erzeugen unsere Locations. In Frankfurt sind dies die Konferenzräume in den oberen Etagen der Hochhäuser rund um die Alte Oper, die – normalerweise nicht öffentlich - einen phantastischen Ausblick auf Frankfurt bieten. Und in Darmstadt, Wiesbaden, Bad Homburg, Kronberg, Hochheim und Hofheim sind dies ausgewählt schöne Lesungsorte, wie das Schloßhotel Kronberg oder ein verträumtes Weingut in Hochheim, die eine großartige Kulisse für großartige Romane bieten, die ins Herz treffen, ohne das Hirn zu irritieren.
 
literaTurm hat 47 Veranstaltungen im Programm, mit internationalen Autoren wie John Banville, John Burnside, Atiq Rahimi, Ann Enright und vielen Novitäten der deutschsprachigen Belletristik. Aber auch für die literarische Subkultur schlägt unser Herz und so stellt unter anderem Christiane Rösinger in einer musikalischen Lesung ihr Buch 'Liebe wird oft überbewertet' vor.
 
Der Kartenvorverkauf läuft zu unserer großen Freude extrem gut. Unter www.literaturm.de und auf facebook.de/literaturm finden Sie das Programm und können Tickets kaufen.