Gut, dass wir Harald haben

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Das Protokoll der Telefonkonferenz sagt aus, dass jemand die Excel-Listen im gemeinsamen Dokumentenordner zusammenführen möge. Aus irgendeinem Grund hat das System irgendwann beschlossen, jede Aktualisierung einer Datei separat abzuspeichern, so dass eQ mittlerweile bereits die 26. Bedürfnisanalyse vorweisen kann.

Ungeschickterweise ist der Arbeitsanordnung kein Gruppenteilnehmer zugeordnet. Wird sich also wahrscheinlich niemand drum kümmern. Sollte am Ende also ein E-Book Gütesiegel herauskommen, dass sich vor allem an den Bedürfnissen der Silversurfer orientiert, dann wisst Ihr zumindest, woran's gelegen hat: war einfach die letzte abgespeicherte Datei.

E-Books sind für alle da. Hat auch besagte Zielgruppenanalyse, die Mareike und Thomas angestellt haben, ergeben. Vor allem die Silversurfer sind eine zukunfts- und kaufkräftige Gruppe, denen man auf den Fersen bleiben sollte. Sie färben nicht nur zuweilen ihr Haar lila anstatt silbergrau wie es sich gehört, sondern kaufen auch die E-Reader Regale leer. Sie haben weniger Schwierigkeiten mit der neuen Technik, als wir es ihnen weismachen wollen. Mareike und Thomas haben herausgefunden, dass der typische Silversurfer sich altersmässig bei 50+ bewegt, einen recht hohen Bildungsstand besitzt und allgemein auf der Suche nach Geselligkeit, Bildung und Unterhaltung ist.

Ihr technisches Verständnis bewegt sich zwischen der vorwiegenden Nutzung der Grundformen, einem hohen Bedienkomfort und auf komplexe Workflows verzichten sie gerne. Die Silversurfer in Farbausdruck vor uns auf dem Tisch liegend, beugen Sabrina und ich uns über unsere Tastatur und wollen waghalsige und wahnsinnige Ideen reinhacken, um unsere Präsentation fürs Buchcamp nächste Woche ein Stück voranzubringen. Aber entweder haben wir einen Blackout, der Kaffee war schlecht, die Sonne zu heiß, der Regen zu nass oder wir haben einfach ein Brett vorm Kopf. Fakt ist: Da kommt nix. Wir stocken, können die Gedanken nicht zu einem schlüssigen Schluss führen und das Schlimmste passiert: wir stellen unser lieb gewonnenes eBook Gütesiegel in Frage. Wir bestellen überbackenen Spargel. Trinken Rhababersaftschorle. Hoffen, das bringt uns weiter. Schauen uns an. Schauen aus dem Fenster. Schauen auf umliegende Kaffeehausgäste, die wie es sich gehört, alle zu größenwahnsinnigen Kreativprojekten brainstormen. In dieser Geistesverfasssung sollten wir uns eigentlich auch befinden. Wo ist unser Kopf? Was befindet sich gerade an der Stelle, wo unser Gehirn sein sollte. Wir fragen uns elementare, existentialistische Fragen nach dem Sinn des Siegels, nach dem Sinn von allem. Aber nach 5 Minuten haben wir uns wieder. Und auch das Siegel.

Denn im Grunde sind wir nach wie vor, wie irre von der Idee überzeugt und unterliegen nur einem typischen Vorkommen im Innovationsprozess – der Prozess stockt gerade in den Köpfen zwei Teilnehmer. Wie gut, dass wir unseren Coach Harald haben, der uns wieder auf den rechten Weg bringt.

Tine Mikliss war in New York beim German Book Office beschäftigt und in Hamburg als
 Pressereferentin beim Rowohlt Verlag. Sie hat die Jungen Verlagsmenschen gegründet und
 richtet zudem jedes Jahr zur Frankfurter Buchmesse den Autorenwettbewerb "You want to read?" aus.
 Gerade kommt sie aus Palästina zurück, wo sie mehrere Monate, u.a. für das Cinema Jenin,
 gearbeitet hat. 



Bei ProtoTYPE arbeitet sie mit ihrer Gruppe an dem Projekt "eQ": Entwicklung eines Gütesiegel 
für digitalen Content. Das Siegel will Orientierung im E-Book-Markt schaffen, der zunehmend auch von
 Self-Publishing-Angeboten beliefert wird.