Jahrestagung des Arbeitskreises Ratgeberverlage

Eine Zukunft mit Spannweite

29. April 2012
von Börsenblatt
Ratgeberverlage verändern sich – und bewegen sich dabei zwischen zwei Polen: zwischen Effizienz und Design. Wie sie hier langfristig die richtige Balance finden? Anregungen von der Jahrestagung des Arbeitskreises Ratgeberverlage (AkR).

Effizienz oder Design – oder beides? Für AkR-Sprecherin und Delius Klasing-Verlegerin Nadja Kneissler stellt sich die Frage eigentlich gar nicht. „Das ist die Spannweite für die Zukunft, beides wir uns noch sehr beschäftigen“, ist sie überzeugt. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen vom Vorstand, Annette Beetz (Gräfe und Unzer) und Julia Graff (Hädecke Verlag), hatte sie deshalb auch sechs sehr unterschiedliche Referenten am vergangenen Freitag zur Jahrestagung nach Frankfurt ins Haus des Buches eingeladen – wobei einer besonders herausragte: der Stuttgarter Designer Wolfgang Seidl. Schon der Titel seines Vortrags – „See me, touch me, feel me! Der Weg zum Herzen beginnt ganz außen“ – ließ erahnen, auf welches Ziel er zusteuern würde: ein Plädoyer für gute Gestaltung.


Wirtschaftsfaktor Design 
 

„Bücher sind das Haus des Wissens und der Kultur“, schwärmte er – betonte aber auch, dass sich das Verständnis dafür bei Lesern nicht von selbst einstellt. Bücher wollten wahrgenommen werden, und müssten es deshalb schaffen, emotional zu berühren. „Sie müssen ins Herz treffen, den Leser bei seiner Leidenschaft packen“, so Seidl. Und das gelinge am besten durch gute, funktionale  Gestaltung.

Die Rolle, die Designkultur bei buchaffinen Zielgruppen spiele, sollte niemand unterschätzen. „Wir leben in einer extrem ästhetisierten Welt“, sagte Seidl – mit der Folge, dass die Erwartungen an das Design von Objekten eher steigen als sinken würden. Gerade für Ratgeberverlage bedeute das eine Riesenchance. Seidl: „Design ist ein Wirtschaftsfaktor.“ 

Entdecke die Möglichkeiten

Seidl wollte seine rund 40 Zuhörer aus dem Arbeitskreis Ratgeberverlage damit weder kritisieren noch ermahnen. Er wollte ihnen vielmehr Mut machen, und sie – das aber eher nebenbei - in Sachen Buchgestaltung zum Umdenken bewegen. Die Zeiten des Quick&Dirty-Designs seien vorbei, betonte er. Heute käme es mehr denn je darauf an, konzeptionell zu denken. Buchprojekte sollten deshalb idealerweise von vornherein anders angegangen werden, rät Seidl. „Bringen Sie Autor und Designer von Anfang an zusammen. Dann entstehen neue Konzepte – und Bücher, die den Weg zum Herzen finden.“

Die meisten seiner Zuhörer nickten, manche nahmen seine Appelle aber auch nur stumm und starr zur Kenntnis, einige schüttelten den Kopf. „Was Wolfgang Seidl sagt ist schon richtig, aber in der Umsetzung zu aufwändig und zu teuer“, konterte ein Lektor.

Drucken im Takt des Marktes  

Schon etwas eingängiger erscheinen da vielen, zumindest auf den ersten Blick, Effizienz-Konzepte wie Print on Demand (PoD). In Frankfurt ließen sich die Ratgeberverlage deshalb noch einmal die Angebote der KN Digital Printforce erklären.

Wie funktioniert das Drucken nach Bedarf bei der Stuttgarter Verlagsauslieferung KNO? In welchen Fällen macht es Sinn? Welche Formate und Papiere sind möglich, was kostet PoD und was spart es? Thomas Raff (Leiter Vertrieb und Kundenservice der Verlagsauslieferung KNO) und Rolf Blind (Vertriebsmanager bei der KN Digital Printforce) beantworteten die Fragen im Duett. Raff präsentierte das große Ganze – Blind übernahm die Details; ihr Tenor: „Passen Sie ihren Produktionszyklus dem Produktzyklus an.“

Hohe Auflagen eines Titels sollten weiterhin per Offset hergestellt werden, so Blind. „Aber ihr Ziel muss es sein, Kostenstellen zu minimieren – sobald Sie weniger als 600 Exemplare pro Jahr verkaufen, lohnt es sich, über die Vorzüge des Digitaldrucks nachzudenken.“ Und dazu gehören, aus seiner Sicht:
  • minimale Lagerkosten,
  • weniger Remittenden,
  • mehr Flexibilität, und damit verbunden  
  • Chancen für neue Geschäftsmodelle; PoD versetze in die Lage, ohne Risiko auch künftig ein breites Titelspektrum zu halten und zudem Nischentitel auszuprobieren, warb Raff.

Die reinen Druckkosten für ein Exemplar würden zwar höher liegen als im Offset-Verfahren, die Prozesskosten insgesamt dafür aber deutlich niedriger. „Und dabei entwickelt sich der Digitaldruck ständig weiter“, meinte Blind. „Da wird noch viel passieren.“ 

 

Andreas Kämmerle von Pagina in Tübingen informierte über den Stand der Dinge bei EPUB 3.0 („2012 wird es wahrscheinlich noch kein Gerät geben, das mit dem neuen Standard umgehen kann“; so interessant EPUB 3.0 also auch sei, bräuchten Verlage doch nichts zu überstürzen).  

Die Juristin Ursula Feindor-Schmidt (Lausen Rechtsanwälte, München) konzentrierte sich auf das Geschäft mit E-Books und gab Ratgeberverlagen Tipps, auf was sie bei Verträgen mit Vertriebspartnern und Plattformen achten sollten („Versuchen Sie, die Klauseln zu verstehen – und verhandeln Sie. Zögern Sie nicht zu lange, bevor Sie unterschreiben, aber seien Sie auch nicht vorschnell.“)

Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang wiederum erklärte, was sich nach der Libri-Bekanntmachung, sämtliche Zitate aus Presserezensionen zu löschen, tut – und warum es überhaupt soweit kam. Denn das Problem an sich, so Sprang, sei ja eigentlich kein neues. An der Gesetzeslage habe sich nichts geändert, wohl aber an dem Willen der Zeitschriften- und Zeitungsverlage, Ansprüche geltend zu machen. Die Rechtsabteilung suche momentan nach einer praktikablen Lösung für Lizenzierungen von Zitaten, und das auch im Gespräch mit dem Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger.
   

Bei allem Ernst der Lage passte es da ganz gut, dass sich Michael Schikowski die Zeit nahm, die Situation wieder etwas zu entschärfen. Schikowski arbeitet als Berater und Dozent (Uni Bonn), er ist Key Accounter beim Campus Verlag, Publizist und zugleich bekennender Ratgeberfan.
Wer Ende Januar beim Mainzer Kolloquium dabei war, kannte seinen Vortrag „Es wäre schön, wenn wir uns schon jetzt verstanden hätten“ zwar schon – aber das tat nichts zur Sache: Über Schikowskis akademisch motivierte, mit Sprachwitz vorgetragene Analyse zur besonderen Bedeutung des Zeitgeistes beim Ratgeberverlegen, ließe sich gut und gern mehrmals lachen. Oder über seine Thesen nachdenken. Zum Beispiel diese: Je selbstbewusster Ratgeber mit Selbstironie umgingen, desto wahrscheinlicher sei ihr Auftieg ins Milleu der Hochkultur.