Diskussion im Hamburger Schulmuseum

Müssen Bücher teurer werden?

23. Juli 2015
von Börsenblatt
Vor 80 Jahren forderte Kurt Tucholsky die Verleger auf: "Macht unsere Bücher billiger!" Heute hängen die Bücherpreise den allgemeinen Lebenshaltungskosten hinterher: Im Vergleich der vergangenen zehn Jahre müsse eine Buchhandlung heute für 100 Euro Umsatz acht Prozent Bücher mehr verkaufen, sagte Michael Menard, Geschäftsführer des Börsenvereins Region Nord - und eine Podiumsdiskussion unter Moderation von Rowohlt-Geschäftsführer Peter Kraus vom Cleff spürte der Frage der Bücherpreise nach.
1932 kostete ein Buch im Durchschnitt fünf Mark, heute sind es 14,50 Euro: "Damals lag das Einkommen bei 173 Mark, heute sind es 2.570 Euro", meinte Menard bei der Diskussion am Samstagabend im Hamburger Schulmuseum. Ein Buch mit diesem Durchschnittspreis belaste den Haushalt in Henstedt-Utzburg (Kaufkraft 124) mit 11,70 Euro, während das Buch in Eggesin (Kaufkraft 70) dem Kunden 20,70 Euro aus der Tasche ziehe. "Wir müssen rationalisieren, aber irgendwann ist das Rationalisierungspotenzial erschöpft", konstatierte  Thomas Wrensch von der Buchhandlung Graff in Braunschweig.

"Bei uns legen die Kunden auch locker mehr Geld auf die Ladentheke", so die Erfahrung von Andrea Nunne (Bücher & Co. in Hamburg-Winterhude, Kaufkraftindex 110). Jonas Jonassons "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand" etwa hätte auch zwei Euro mehr kosten können, "der wäre bei uns genauso gegangen." Dabei sei allerdings enorm wichtig, die Kunden selbst entscheiden zu lassen, meinte Thomas Wrensch: "Mir hat mal ein Kunde gesagt, er könne doch selbst entscheiden, was er als teuer empfinde - oder ob ich ihm nicht zutraue, dass er das Buch nicht kaufen könne?"

"Wir müssen sehr genau auf die Lesegewohnheiten und Vorlieben der Kunden achten: Wenn wir deren Bedürfnisse treffen und ihnen die richtigen Buchtitel empfehlen - dann spielt der Preis eines Buches keine Rolle mehr", ist die Erfahrung von Walter Graupner (Buchhaus Graupner, Eggesin). "Das ist aber auch unsere einzige Chance." Das 6.000 Einwohner starke Eggesin hat einen Kaufkraftindex von 70.

"Ich bin mir nicht sicher, ob wir in der Branche nicht selbst die größten Verhinderer einer Anpassung der Buchpreise an die Lebenshaltungskosten sind", meinte  der Rostocker Buchhändler Manfred Keiper. "Oft sagen die Sortimenter doch von selbst: Ach, diesen Titel gibt es auch als günstiges Taschenbuch." Kraus vom Cleff pflichtete bei: "Wenn man ins Kino geht, fragt kaum jemand nach den Preisen." Dieselben Eltern, die Bücher zu Klassensatzpreisen als sehr teuer kritisierten, statteten ihre Kinder ohne Zögern mit neuesten Handys aus. "Begehrte Produkte dürfen auch mehr kosten", meinte Joachim Kaufmann (Carlsen). Es gebe ein Premierenpublikum und ein Massenpublikum, die sehr unterschiedliche Bedürfnisse hätten.

"Genügend Menschen genießen das langsame Lesen und lassen sich das auch etwas kosten", so Menard. "Aber was dem einen gefällt, ist für den anderen nicht akzeptabel", entgegnete Thomas Gruß (Hanseatische Gesellschaft für Verlagsservice), "nur wenn wir einen Preis machen, dann gilt er zu Recht für alle. Was bedeutet, wir müssen auch alle Leser und Käufer im Blick haben, was zugegebenermaßen nicht einfach ist."

Auch das Thema Preisschwellen und Preisendungen wurde von den rund 50 anwesenden Mitgliedern des Landesverbands Region Nord diskutiert. Vor 20 Jahren sei die Preisschwelle von 40 Mark sehr schwierig zu knacken gewesen, heute seien es 19,95 Euro, manchmal 24,95 Euro - "das ist kaufkraftbereinigt das Gegenteil einer Steigerung", sagte Joachim Kaufmann. "Viele Kunden regen sich bei uns über die 99-Cent-Endungen auf", sagte ein Buchhändler. Das werde der besonderen Ware Buch nicht gerecht. Das sei ein großes Thema bei den Buchhändlern, stimmte Andrea Nunne zu, aber es gebe anscheinend einen Druck durch die 99-Cent-Endungen im Internet.

Wie wichtig seien die vier Cent denn für den Buchhandel? wollten die Buchhändler wissen. Die vier Cent mehr ergaben bei Rowohlt immerhin 400.000 Euro mehr im vergangenen Jahr, so Kraus vom Cleff - und vier Cent mehr bedeuteten ja auch zwei Cent mehr für das Sortiment, ergänzte Joachim Kaufmann. Die meisten Kunden würden allerdings eher 20 Euro als 19,99 Euro zahlen, "die ticken anders", hielten Buchhändler dem entgegen. Entscheidend sei doch, dass ein Buch schon von der Ausstattung her eine Wertigkeit ausstrahle, die Lust auf das Produkt mache.