ProtoTYPe: Unter Helden

23. Juli 2015
von Börsenblatt
"Ich fühle mich ein bisschen wie jemand, der bei der 2. Staffel von 'Lost' einsteigt", schreibt Sonja Vogt in ihrem ersten ProtoType-Blog – Vogt hatte vorher noch nicht viel mit der Buchbranche zu tun, in ihrer Content Kichen beschäftigt sie sich mit Inhalten für verschiedene Medien.

Die ersten Cosplayer begegnen mir in Leipzig am Hauptbahnhof, Teilnehmer an einem fremden Ritual, das bunte Perücken und Pappmachéwaffen vorschreibt.

Es ist beinahe schade, diesen Frühlingtag in einem geschlossenen Raum zu verbringen, aber die Pflicht ruft: die Zukunft der Buchbranche liegt jetzt ein bisschen auf unseren Schultern. Ich gucke das kleine Stückchen Zukunft auf meiner Schulter an und frage mich, ob es da gut aufgehoben ist, denn ich fremdle ja ein bisschen. Zum Glück bin ich nicht die einzige „Branchenfremde“, und die anderen Kinder wollen auch gerne mit mir spielen. Wahnsinn, die sehen alle so nett und interessant aus! Hoffentlich werden die alle meine Facebookfreunde! „Ihr seid schlau und attraktiv“ wird ProtoTYPE-Harald Henlzer später sagen, ein Glück, da hat die Zukunft der Buchbranche wenigstens was zu gucken, falls wir nicht innovativ genug sind.

Doch jetzt geht es an die Arbeit: Ideen generieren. Ich fühle mich ein bisschen wie jemand, der bei der 2. Staffel von „Lost“ einsteigt, außerdem werfen „They-who-must-not-be-named“ Schatten auf die Überlegungen. Doch es gibt schon eine Menge Ideen, und nach einer Weile schmeiße ich einfach was in die Runde, was ich gerne hätte, das machen die anderen ja auch, und werde damit „Ideenhost“.

Der Anklang ist mäßig, aber dafür fusioniert meine Idee nach kurzer Zeit mit einer anderen, die auch verhalten rezipiert wird, aber jetzt sind wir zu dritt und dürfen weiter daran arbeiten.

Draußen ziehen Engel, Krieger und Prinzessinnen vorbei, alle mit ernsten Gesichtern in ihrer Welt gefangen. Wir drinnen, serious as hell, mit Flipchart und Moderationskarten, dazwischen Lunchspeech. Christian Lüdtke erinnert uns in seinem kick-ass Vortrag an den „Schmerz des Kunden“ und daran dass wir Feinbilder und Vorbilder brauchen. Menno, ich möchte auch einmal „Valley“ und „KPI“ sagen und dabei noch sympathisch wirken: großes Tennis!

Dann Elevator Pitch, zehn Ideen haben je drei Minuten, von 10 Ideen müssen dann 6 entweder einen frühen Tod sterben oder von den Ideeninhabern jenseits von ProtoTYPE weiterbetrieben werden. Hoffentlich laden sie uns mal auf ein Bier ein, wenn sie mit der abgelehnten Idee Millionär geworden sind.

Wir kriegen Klebepunkte und müssen bewerten, die großen Gruppen haben dabei einen evolutionären Vorteil, nämlich mehr Punkte zum Verteilen, den Vorteil gleiche ich durch größere Unverschämtheit aus und bewerte unser Projekt mit 5 Punkten. Das wird wohl nix mit dem Bier.

Wir landen an fünfter Stelle, eigentlich wäre unsere Idee jetzt tot, aber das Leitungsteam macht ein Pokerface, und so gehen wir jetzt erst einmal essen und entscheiden morgen.

Morgens ist die Messe wieder voll mit Abgesandten Nippons, einer strahlender als der andere und auf enigmatische Weise jung. Wir hingegen sehen alle etwas unausgeschlafen und von Zweifeln zerfressen aus. Ehrhardt und die Experten bauen uns wieder auf, sie träufeln uns Unternehmergeist in die Ohren, und dann geht es weiter. Überraschung: Es gibt Bonus-Ideen! Das sind unsere und zwei weitere, eine davon bringt dankenswerterweise nochmal den Leser ins Spiel und die andere hat soviel Eier, dass sie notfalls auch dem Osterhasen zuliefern könnte.

Unser Team hat jetzt Zuwachs in Form eines Verlegers, was dem Ganzen noch einmal einen hilfreichen Tritt Richtung Verlagsbranche gibt. Wir schrauben etwas Brauchbares zusammen, legen fest, wo es langgeht und Bob ist unser Onkel. Bei den anderen sieht es ähnlich aus, so dass wir den Sack zu machen, uns gegenseitig auf die Schulter klopfen und uns durch die letzten Atemzüge der Messe hindurch auf den Weg nach Hause machen, jeder mit einem töften Projekt in der Tasche.

Ich bin ziemlich müde, aber die Straßenahn ist voll, es fliegen Namen von Mangafiguren durch die Luft, ein bleicher Prinz fällt bei einer Bremsung fast einer Familie in den Schoß, die in ihre Bücher versunken dasitzt, ich schaue auf diese Szene und frage mich, ob wir nicht etwas übersehen haben, was die ganze Zeit vor unseren Augen war.

Sonja Vogt studierte Kulturwissenschaft, deutsche und englische Literatur in Bremen und Cambridge. Sie war einige Zeit am Theater tätig, bevor sie anfing, interaktive Ausstellungen zu konzipieren. Heute beschäftigt sie sich mit Inhalten und Interaktionen in unterschiedlichen Medien. Sie hatte noch nie etwas mit der Buchbranche zu tun, mag aber neue Herausforderungen insofern man sie interaktiv gestalten kann.